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der homosexuelle mann ...

von ELMAR KRAUSHAAR

... hat fast nichts, was ihn überdauert. Keine Kinder, keinen Namen, manchmal ein kleines Lied, vielleicht ein gutes Buch. Nicht einmal der schlechte Ruf hält ewig.

Um nicht im Gefühl der völligen Bedeutungslosigkeit zu versinken, legt der homosexuelle Mann Sammlungen an. Er hortet und archiviert, sucht und sammelt und fängt stumm und verbissen wieder von vorne an, wenn auf einem Gebiet es nichts mehr zu sammeln gibt. Die Sinnhaftigkeit findet sich nicht in den begehrten Objekten, sie kommt beim Suchen so wie die Genugtuung beim Bewahren. Da sammelt einer Stöckelschuh und wohnt nur in einer Eineinhalb-Raum-Wohnung. Ein anderer faltet Stoffservietten aus aller Hausfrauen Länder und versenkt sie in seiner Biedermeierkommode. Eine Dritter nimmt jede Polydor-Single-Schallplatte mit, von der Nummer 1 bis ichweißnichtwievieltausend.

Eine ganz besondere und inzwischen weit verbreitete Spezies ist die der Grand-Prix-Eurovision-de-la-Chanson-Sammler, kurz Grand-Prix-Elsen oder Eurovisions-Krähen genannt. Ich weiß, wovon ich rede, ich gehöre dazu. Das diesjährige Festival in Kopenhagen war wieder der Höhepunkt für die europaweite Innung der Krähen und Elsen. Schon eine Woche vor dem Ereignis fielen sie in der dänischen Hauptstadt ein, aufs Äußerste bereit, ihre Sammlungen auf den neuesten Stand zu bringen. Und gesammelt wird alles, wo Grand Prix draufsteht: Plakate und Programmhefte, PR-Fotos und Plastiktüten, selbst schäbige kleine Teelichter hinter Glas, wie in diesem Jahr. Das Wichtigste aber sind die CDs, gnadenlos alle Wettbewerbsbeiträge in allen Variationen, als Promo-Single, Fehlpressung, spanische, britische oder niederländische Version.

Die ganz Cleveren haben bereits im Vorfeld aus jedem teilnehmenden Land die Beiträge postalisch angefordert. Die Hauptarbeit findet aber in den Tagen vor dem Finale statt. Mit einer gefakten Akkreditierung verschafft man sich Zugang zu den Proben und Pressekonferenzen der Künstler, wanzt sich an die persönlichen oder Plattenfirmenbegleiter ran und bittet um das eine oder andere CD-Exemplar, für sich selbst, für den Freund zu Hause, für den Kollegen, der gerade nicht da ist, je mehr, dessto besser. Der Rest wird zusammengeklaut aus den Journalistenfächern im Pressezentrum. In Kopenhagen mussten die Veranstalter immer wieder auffordern: „Bitte nehmen Sie nur das mit aus den Fächern, was Ihnen gehört!“ Was für ein frommer Wunsch! Das große Schlachtefest ist am allerletzten Abend, direkt nach der Siegerkür. Dann werden all jene Fächer ausgeräumt, die in der Woche nicht geleert worden waren.

Anschließend sitzen die Elsen und Krähen mit prall gefüllten Taschen beieinander und rufen sich zu: „Ich habe 17 von Slowenien, und du?“ „23, dafür aber nur elfmal Island. Und eine einzige aus Estland, die mit dem Promo-Prägestempel.“ Mir, möchte ich an dieser Stelle hinzufügen, fehlt noch der Beitrag Irlands. Den gab es nur in einer Privatpressung als 500er Auflage, eine Plattenfirma hat sich dafür bislang nicht gefunden.

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