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Her mit der alten Zeit!

Asta Scheib ruft in ihrem neuen Roman „Sei froh, dass du lebst“ die Vergangenheit und die Kindheit in Igelitschuhen im oberbergischen Städtchen Attenberg an und kommt dabei nur selten über Beschwörungsformeln hinaus

Das ist das Revival-Prinzip. Die Kindheit verfliegt, dem Kind ist alles Übergang. Es will Gegenwart bald zu Vergangenheit werden lassen, und es wartet, dass das richtige Leben beginnt. Erst im Nachhinein wird es wissen, wie kostbar jeder Augenblick, wie einschneidend jeder Schmerz und jede Freude, wie einmalig jeder Eindruck war. Später will das Kind alles noch einmal hervorholen. Und wer es damals nicht verstanden hat, soll das heute können.

Asta Scheib hat über ihre Kindheit geschrieben. Sie setzt an zu erzählen, da ist sie sechs Jahre alt und der Krieg zu Ende. Ihr Alter Ego, das Kind Agnes, lebt im oberbergischen Städtchen Attenberg. „Sei froh, dass du lebst!“, nennt Scheib ihr Buch, ein Satz, den sich Agnes immer und immer wieder anhören muss: wenn sie Hunger hat, wenn es an Kleidung mangelt, wenn sie lässliche Kindersünden begeht.

Um das Bild der Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Zeit authentisch zu zeichnen, setzt die Autorin Zeichen des Wiedererkennens: Perlonstrümpfe, Amihuren, Igelitschuhe. Später wird die Schauspielerin mit Namen Knef auftauchen, die in einer Nacktszene zu sehen ist, auch Rosemarie Nitribitt und das Mädchen Romy, die süße Kaiserin.

Wie ein Tableau zeichnet die Autorin das Städtchen Attenberg, wie eine Compagnie von Stereotypen dieser Zeit seine Bewohner. Der Heimkehrer, die warmherzige Großmutter, die überforderte Mutter, die einen unbelehrbaren Nazi heiraten wird. Ungebrochen bestimmen diese Figuren über das Leben des Mädchens Agnes, das im Laufe des Buches erwachsen wird. Über allem schwebt ein finsterer Ton: Natürlich haben auch die Attenberger Leichen im Keller, und Agnes flattert über die Kleinstadtbühne und repetiert im Kindersingsang ihr Erleben.

Dass das Denken und Fühlen eines Kindes berühren kann, ohne dass es denunziert wird oder Niedlichkeit bedient wird, ist bewiesen. Erwin Strittmatter etwa hat in seinem „Laden“ dem Knaben Esau Würde gegeben und dabei niemals die Dramaturgie aus den Augen verloren. Kleine Dinge und Begebenheiten waren stets Teil eines Ganzen, hatten ihre Bestimmung. Asta Scheib hingegen hält die Balance zwischen geschildertem Detail und erzähltem Plot nicht. Das mag daran liegen, dass sie zu undistanziert erzählt. Sie ist ein Opfer des Revival-Prinzips: Jedes ihrer Gefühle von damals – jede duftende Tasse Kakao und jedes gleißende Herbstlaub – ist ihr wichtig und will erzählt sein. Doch weil ihr das nicht reicht, stellt sie zu alldem einen dunklen Plot. Darüber verlieren sich die Gefühle des Kindes immer wieder im Ungefähren.

Doch es berührt, wenn am Ende die beinahe erwachsene Agnes ihren lang vermissten Vater wiederfindet. Da ist sie desillusioniert und wird wohl bald das Städtchen im Oberbergischen verlassen. Die Kindheit liegt hinter ihr, und erst später wird sie Zeit finden, zurückzuschauen und all die Momente ihrer Erinnerung vor sich auszubreiten. ANJA MAIER

Asta Scheib: „Sei froh, dass du lebst!“. Rowohlt Berlin 2001, 318 S., 44,90 DM

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