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Der Gesandte

Eine Frage zu Enwezors Konzepten bleibt: Hängt er den Rahmen höher als die Kunst selbst?

aus Berlin HENRIKE THOMSEN

Vielleicht ist Okwui Enwezor ein machtloser Narr, vielleicht aber auch ein großer Visionär. In jedem Fall hält der gebürtige Nigerianer den Glauben an die politische Bedeutung von Kunst hoch – und das in einer Zeit, in der sich die Museumsinstitutionen und der Kunstmarkt in gut geöltem Funktionieren genügen. Enwezor verschreibt sich diesem Glauben nicht, weil er es als künstlerischer Leiter der documenta XI ohnehin so tun müsste. Eher wurde er gerade deswegen berufen, weil es ihm – wie auch seiner Vorgängerin Catherine David – noch um etwas geht.

„Es gibt eine Reihe von wichtigen Fragen, die nur die Kunst beantworten kann“, sagt er in makellosem Englisch, als wir uns im Berliner Haus der Kulturen der Welt zum Gespräch treffen. „Wie setzen wir die Erfahrung dieser immensen Komplexität um, die die Grunderfahrung der Moderne darstellt? Wie tragen wir der Erfahrung des Anderen Rechnung, oder dessen, was vielstimmig ist? Wie realisieren wir unser aller tiefes Verhaftetsein in der Geschichte?“

Enwezor ist kein Freund des Plakativen. Seine aktuelle Ausstellung „The Short Century“, die man im Übrigen nicht als Fingerübung für die documenta in Kassel, sondern als ein selbstständiges Projekt auffassen sollte (siehe taz vom 19. 5.), veranschaulicht dies. So komplex und verschlungen, wie die Schau im zweiten Stock des Berliner Martin-Gropius-Baus die afrikanische Befreiungsgeschichte von der Kolonialherrschaft darstellt, scheinen auch die Gedankengänge ihres geistigen Vaters zu sein. Enwezor zuzuhören ist, als blickte man auf eine Marmorplatte mit ihren zahllosen Äderungen und Schattierungen – sehr elegant, aber auch hart in ihrer abstrakten rhetorischen Pracht. Auf seine Weise ist Enwezor ein Gesandter vor einer imaginären weltpolitischen Vollversammlung, und seine Rede von einer „Dritten Kultur“ erinnert an die vom „Dritten Weg“.

Enwezor hat Humor: „Keine Sorge, Sie werden mich nicht eines Tages im diplomatischen Dienst wiederfinden!“ Dennoch gibt es eine Reihe von Fragen, die man ihm nicht stellen möchte. Allzu persönliche zum Beispiel. Etwas in seiner Ausstrahlung verbietet falsche Vertraulichkeiten. Vielleicht liegt es daran, dass man in einem so hochgebildeten, hochintellektuellen Afrikaner eine Symbolfigur für die intellektuelle Würde der gesamten Peripherie erblickt. Darin gleicht er Kofi Annan, dem UN-Generalsekretär: Beide sind Repräsentationsfiguren, die herkömmliche Vorstellungen von Afrika ausdehnen. Und die Rolle, die der gebürtige Ghanaer Annan in den Vereinten Nationen innehat, ähnelt der Enwezors im internationalen Kunstbetrieb.

Der seit Jahren in New York lebende Enwezor beschreibt sich selbst zwar als „postnational“ und sagt: „Wir sind alle Westler“, um den gleichrangigen historischen Anteil der ehemaligen Kolonien an der Moderne zu betonen. Dennoch stellt sich im Gespräch mit ihm rasch ein diffuses schlechtes Gewissen ein. All die afrikanischen Picassos, Goethes und Molières, von denen er spricht, kennt man nicht einmal vom Hörensagen.

Um etwas von diesem Mann zu verstehen, sind daher vielleicht weniger die Karrierefakten wichtig als das kulturelle Umfeld, in dem er groß wurde. „Ich bin in die Euphorie einer jungen, gerade unabhängig gewordenen Nation hineingeboren“, erinnerte sich Enwezor gegenüber dem Spiegel. „Wir wuchsen mit dem Gefühl auf, dass wir eine Rolle in der Welt zu spielen haben, aber auch mit der Erfahrung eines verheerenden Bürgerkrieges.“ In Nigeria entwickelte sich zu Beginn der 60er-Jahre eine der lebendigsten Kulturszenen Afrikas. Nicht nur der spätere Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, sondern auch zahlreiche bildende Künstler und Musiker trugen dazu bei. „Das Umfeld war radikal offen für neue Ideen“, sagt Enwezor, der selbst auch Dichter ist. „Es war radikal pluralistisch.“

Als Enwezor 1982 zum Studium nach New York kam, fühlte er sich von der legendären kulturellen Vielfalt der Stadt nicht sonderlich beeindruckt. Im Gegenteil: „Ich war schockiert, darüber, wie pervers konventionell New York war“, sagt er. Seine Praxis als Kurator und Kritiker war von Beginn an von Kulturkritikern wie Homi K. Bhaba und Edward Said geprägt. Enwezor wandte sich scharf gegen den universellen kulturellen Hoheitsanspruch, den er als ein wesentliches Produkt des hiesigen Kunstbetriebs ansieht. Es nütze nichts, befand er anlässlich seiner Johannesburg Biennale 1997, wenn man Kunst aus Ländern wie Südafrika in den vorgefertigten westlichen Rezeptionsrahmen importiere. Man müsse die Biennalen vielmehr als „globale kulturelle Unternehmen“ neu erfinden.

In diesem Sinne interpretiert Enwezor auch die documenta. Es wird fünf Plattformen mit Symposien und Workshops geben, in denen die Produktion von Ideen untersucht, Themen wie Wahrheit, Gewalt, Krise und Kreativität beleuchtet werden. Die ersten Podien haben bereits in Wien und Neu-Delhi begonnen. Weitere folgen in Dakar, in der Karibik und schließlich auch in Kassel und Berlin, wo im Herbst im Haus der Kulturen der Welt die Wiener Diskussionsreihe wiederholt werden soll.

Etwas in Enwezors Ausstrahlung verbietet falsche Vertraulichkeit und allzu persönliche Fragen

Enwezor will also jenen gesellschaftspolitischen Rahmen artikulieren, der in Südafrika, den Philippinen oder Kuba zurzeit die interessanteste junge Kunst hervorbringt. Das Gute daran ist, dass man auf diese Weise weder solche Länder noch die Kunst insgesamt als exotische Dreingabe wahrnehmen kann. Die Bali-Pauschaltouristen in Sachen Kultur können bei diesem Reiseleiter zu Hause bleiben; aber auch gepflegte bildungsbürgerliche „Studiosus“-Kunden werden sich schwer tun.

Auf der anderen Seite stellt sich wie bei seiner Vorgängerin David ebenfalls die Frage, ob der Rahmen in diesem Ansatz nicht höher gehängt wird als die Kunst selber. Haben Bilder, Statuen, Fotos und Videos für Enwezor einen Wert an sich, oder sind sie reine Argumentshilfen in einem materiellen und damit untergeordneten Aggregatzustand? Mit dieser Frage ist nicht gemeint, dass man Kunst zuerst nach leeren ästhetischen Kategorien beurteilen sollte, sondern dass man sich über das Verhältnis ihrer Form und ihres Materials zu den transportierten Ideen klar werden muss, um Kunst aussagekräftig zu machen und dennoch in ihrem eigenen Recht zu belassen. In „The Short Century“ wirkt dieses Wechselverhältnis nicht geklärt und nicht geglückt.

Für diese Ausstellung ist Enwezor bereits Kopflastigkeit vorgehalten worden. Im Rahmen des historischen Anspruchs der Schau ist es jedoch noch zu verstehen, dass er die Exponate instrumentalisiert. Die Ankündigungen für Neu-Delhi und den Rest der Welt dagegen können selbst den tapfersten Intellektuellen beunruhigen. „Ich werden die documenta nicht mit politischen Ansprüchen überfrachten“, verspricht Enwezor. „Ich bin offen für jede konstruktive Kritik, denn das erhöht ja nur die Intensität des Nachdenkens.“

Doch da ist er selbst schon wieder bei seinem Lieblingsthema angekommen. „Egal wie sehr ich persönlich im Moment belagert werde – man muss immer daran denken, dass die Geschichte dieser Welt, aus der ich komme, gerade erst geschrieben wird.“ Ich hole tief Luft und frage: „Sind Sie stolz, Afrikaner zu sein?“ Da lacht er mich an und gibt zurück: „Wie könnte es anders sein?“

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