: Nichts Neues unter der Sonne
■ Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben: Das definiert ein Senatsbeschluss als Entwicklungsmodell beim Staatsorchester
taz-LeserInnen wissen es schon (siehe Zeitung vom Montag): Was lange gemunkelt, öffentlich geredet, öffentlich widerrufen, von den Betroffenen abgelehnt und dann doch wieder nicht: Nun gibt es einen Senatsbeschluss als Auftrag an Kultursenator Bernd Schulte, für September das Philharmonische Staatsorchester Bremen in eine private Trägerschaft, in eine GmbH zu überführen. Dreckarbeit in den letzten Arbeitstagen (nur noch bis Juli wird er sein Amt ausführen) oder mutiger Versuch, „ein neues, innovatives Modell“ noch auf einen guten Weg zu bringen?
Die Mitglieder des Orchesters, deren Zustimmung es noch bedarf, wehren sich nicht gegen eine neue Trägerschaft. Sie haben aber als Bedingung die Besetzung der für ein A-Orchester fehlenden Stellen: Das sind im Augenblick 13 1/2 – eine Situation, die verantwortliche Aufführungen der großen Sinfonik des neunzehnten Jahrhunderts unmöglich macht. Dafür aber fehlt das Geld, wie Schulte unumwunden zugibt. Eine Million wird „draufgelegt“ und dann: adieu in die eigene Verantwortung.
Mit einer Millionen allerdings wird sich das Orchester weder die fehlenden Stellen noch ein professionelles Marketing einschließlich einem hauptamtlichen Geschäftsführer leisten können. Was also? Denn erklärtes Ziel von Schulte ist der Erhalt des A-Orchesters – sowieso seit Jahren Etikettenschwindel, Erhalt der Doppelfunktion des Einsatzes in der Oper (63%) und im Konzertsaal (ca. 200 Veranstaltungen pro Jahr und weitere Zusammenarbeit mit der Philharmonischen Gesellschaft, die gerade ihren Vertrag mit dem Orchester, so wie er ist, gekündigt hat.
Die seit 175 Jahren ehrenamtlich arbeitende Gesellschaft, die den gesamten Konzertbetrieb einschließlich der Beschaffung der Gelder durchführt, braucht Bedingungen, in denen sie nicht auf einem Defizit von DM 500.000,- (wie im vergangenen Jahr) sitzen bleibt.
Bei dem Senatsbeschluss handelt es sich vorerst um ein Beratungsmodell. 51% der neuen GmbH soll die Philharmonische Gesellschaft tragen, 49% das Orchester. Was wären denn die neuen Pflichten der MusikerInnen? „In tariflichen Dingen flexibler und der eigenen Sache verantwortlicher sein ...“, sagt Schulte. Also mal umsonst spielen, wenn das rein wirtschaftlich ein Werbeeinsatz sein könnte? „Genau“.
„Der Staat wird sich nicht aus der finanziellen Verantwortung zurückziehen“, verspricht Schulte, aber mehr als jetzt kann er nicht anbieten. Das ist schon Rückzug. Denn zur gleichen Zeit bewirbt sich Bremen für das Jahr 200 als „Kulturhauptstadt“ Europas? Ohne A-Orchester?
„Zugegeben, es ist für das Orchester ein schwerer Schritt, aber nur in dieser Lösung ist eine Perspektive“. Ob das alles gut geht, hängt auch wesentlich davon ab, wie der neue Generalmusikdirektor mit der Situation umgehen wird. Es wird ohnehin schwer genug sein, unter diesen Bedingungen eine Günter Neuhold vergleichbare Kompetenz zu bekommen. Nichts Neues also, warten wir's ab. usl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen