: Streiken verlernt?
betr.: „Gegen ‚viel Cash‘ “, taz vom 18. 5. 01
Die Kampagne gegen die Pilotengewerkschaft Cockpit seitens der Großgewerkschaften ist verlogen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum eine Interessenvertretung nicht für die Interessen derer, die sie vertritt, kämpft. Genau das haben DGB, Ver.di, IG Metall usw. verlernt. Sie stellen sich immer mehr in die Dienste der Arbeitgeber und versuchen das als Interessenvertretung ihrer Mitglieder auszugeben.
Wieso sind 35 Prozent Lohnerhöhung zu viel? Cockpit hat einwandfrei nachgewiesen, dass erstens der seit Jahren anhaltende Lohnverzicht der Piloten die Forderungen rechtfertigen und zweitens die Betriebsergebnisse bei Lufthansa eine solche Erhöhungen ermöglichen. Man sollte sich nicht auf das Gequatsche von verkrusteten Gewerkschaftsbossen verlassen.
Ein paar Zahlen (Statistisches Bundesamt, hauptsächlich Fachserie 18, Reihe 1.1, 1.2, 3 und isw-wirtschaftsinfo Nr. 32, Mai 2001): Von 1992 bis 2000 sind die Reallöhne (Kaufkraft nach Abzug der Preissteigerungen) um 3,6 Prozent gefallen! Übrigens auch unter Schröder im Jahr 2000 um 0,2 Prozent. Nur 1999 sind die Reallöhne in Auswirkungen von Lafontaines Politik um 0,8 Prozent gestiegen. Die Gewinne der Unternehmen sind dagegen von 1992 bis 2000 um 50 Prozent (!) gestiegen. Ein wichtiger Grund sind die Steuervergünstigungen durch Kohl und Schröder.
Was passiert nun mit den vielen Gewinnen? Nach Schröders Logik dient diese unglaubliche Bereicherung der Konzerne, Banken und Reichen der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Schaut man sich die Investitionsrate im selben Zeitraum an, kommt man zu einem anderen Ergebnis: 1992–2000 stiegen die Investitionen der Unternehmen um gerade mal zwölf Prozent, die des Staats fielen sogar um 17 Prozent. Wie viele Arbeitsplätze dadurch eher vernichtet werden, weiß jeder, der im Öffentlichen Dienst beschäftigt ist.
Wo aber bleiben die Gewinne, die alle Beschäftigten erarbeitet haben? Da hilft ein Blick auf die Entwicklung der Vorstandsbezüge. Diese nahmen jedes Jahr kräftig zu. In der gleichen Zeit, in der uns die Großgewerkschaften „maßvolle Lohnsteigerungen“ „erkämpften“ oder der Kanzler sich in die Tarifautonomie mit dem Versprechen von moderaten Lohnabschlüssen (Handelsblatt, 15. 3. 01) einmischt, stiegen die Vorstandsbezüge der im DAX-30 notierten deutschen Unternehmen in nur zwei Jahren 1997–1999 um 40,1 Prozent (Zeit, 29. 6. 00)! Allein 1999 stiegen die Vorstandsbezüge aller deutschen Unternehmen um 20,2 Prozent (isw-wirtschaftsinfo Nr. 32, Mai 2001). Da nehmen sich die geforderten 35 Prozent als kumulierte Forderung für Nullrunden der letzten Jahre eher bescheiden aus.
Die Gewerkschaften sollten endlich die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder ernst nehmen und nicht andere dafür schelten. [...] Lohnsteigerung von 20 Prozent für jeden! Das würde durch die Ankurbelung der Binnennachfrage auch Schröder helfen, wenigstens ein Wahlversprechen, die Senkung der Arbeitslosenzahlen, ohne Statistiktricks zu erreichen und uns etwas unabhängiger von den Schwankungen der Weltwirtschaft machen.
WULF-HOLGER ARNDT, Berlin
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