Bob in Bedrängnis

Mit seinem „Judas!“-Ruf 1966 ging ein enttäuschter Fan in die Musikgeschichte ein

Am 17. Mai 1966 spielte Bob Dylan in Manchester. Erstmals kam hier europäischen Hörern zu Ohren, dass Dylan tatsächlich „elektrisch“ geworden war, die Folkbewegung also an die Rockmusik verraten hatte. Ihren Unmut unterstrichen die 2.000 Fans in der Halle zunächst mit arhythmischem Klatschen, aber erst in der Stille nach „Ballad Of A Thin Man“ fand die Enttäuschung ihren historischen Ausdruck: „Judas!“, brüllte ein aufgebrachter Fan. „I don’t believe you“, schnauzte Dylan, „You’re a liar!“ Um dann, als seine Band bereits polternd „Like A Rolling Stone“ intonierte, mürrisch hinzuzufügen: „Play fucking loud!“

Nie sind Erwartungen der Hörer und Selbstverwirklichung des Künstlers härter zusammengeprallt, weder vor noch nach dem legendären Zwischenruf. Kein Wunder, hat der Pop doch inzwischen längst die authentische, messianische Gravität abgelegt, vor der ein „Judas!“ erst seine Brisanz entfaltet. Und kein Wunder auch, dass es anschließend jeder gewesen sein wollte. Keith Butler, heute 54, ist seit zwei Jahren als Rufer identifiziert. Er stellte sich selbst, und zwar den Journalisten von BBC, die 1999 eine Dokumentation über das Konzert drehten („Eat The Document“).

Der Mann lebt in Toronto, wo es zehn Eintragungen unter dem Namen „K. Butler“ gibt, hat zwei Kinder und ist Angestellter. Auf seine zwei Silben, die Popgeschichte machten, mag er heute nicht mehr angesprochen werden: „Wir waren so enttäuscht. Das war nicht der Bob Dylan, den wir gewohnt waren. Der Dylan, den wir hören wollten, war ‚The Freewheelin‘ Bob Dylan. Ich war ein 20-jähriges Kind“, erzählte er der BBC, „und war völlig geschockt, als er mir direkt antwortete.“ Seitdem hat Butler erfolgreich versucht, den Vorfall zu verdrängen – bis er sich in einer kanadischen Zeitung entdeckte und nach England reiste, um mit sich ins Reine zu kommen „und klar zu stellen, dass ich kein Antisemit bin“. ARNO FRANK