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Betr.: „Castor vor Ofenrohr“, taz hamburg, 16. Mai 2001
Demütigend
Bei den jüngsten Atommülltransporten nach Frankreich ist wieder einmal deutlich geworden, daß eine konsequente Aushebelung der Grundrechte in Kauf genommen wird, um den umstrittenen Atom-Konsens der Rot-Grünen Bundesregierung durchzusetzen. So wurde ich in der Nacht zum 15.05.2001 Opfer eines brutalen und demütigenden Polizeieinsatzes bei Lüneburg.
Wer die Berichterstattung über den jüngsten Atomtransport von durch Hamburg mitverfolgt hat, wird sich erinnern. Der Castor wurde von ca. 50 Menschen in der Höhe Lüneburg gestoppt, um ein politisches Zeichen für einen sofortigen Atomausstieg zu setzen. Doch was nicht berichtet wurde, weil keine Journalisten vor Ort waren, ist die Brutalität und Demütigung, die uns Demonstranten von Seiten der Polizei entgegengebracht wurde.
Ohne eindeutige Räumungsaufforderungen prügelte uns der Bundesgrenzschutz mit Schlagstöcken brutalst von den Schienen. Dann wurden wir gefesselt und an den Bahndamm gelegt. Kurze Zeit später fuhr der Atommüllzug in unmittelbarer Nähe an uns vorbei. Die in den Personenwaggons mitfahrenden Polizisten beschimpften und bespuckten uns im Vorbeifahren. Für die anschließende Personalienaufnahme und erkennungsdienstliche Behandlung von 50 Demonstranten brauchten die etwa 200 Polizisten fast sieben Stunden.
Schließlich wurden wir am Ende einer Personenkontrolle unterzogen, bei der sich einige Demonstranten fast komplett ausziehen mussten. Angeblich wurde hier nach Waffen gesucht, die natürlich nicht gefunden wurden.
Meine Erlebnisse in jener Nacht haben mir den letzten Glauben an unseren angeblichen Rechtsstaat genommen. Die Polizei scheint wohl immer noch verstanden zu haben, dass sich der Protest gegen die verfehlte Atompolitik der Regierung richtet. Anstatt die Protestkultur in unserem Lande zu respektieren, nutzten die BGS-Beamten die Gunst der Stunde, um ihren Frust an friedlichen Demonstranten auszulassen. Doch so lässt sich ein politischer Konflikt nicht lösen. Im Gegenteil: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zu Pflicht.
Martin Hensch
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