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Der gute Team-Spirit

Seine Band mag Jazz aus dem Fusion-Lehrbuch, er selbst nimmt jedes Solo noch mit Humor: Der Soul-Songwriter Terry Callier spielte im Quasimodo

von HARALD FRICKE

Die Bilder sehen immer gut aus. Egal ob Kodak oder Agfa. Es liegt an der Zeit, es liegt an Amerika: Siebzigerjahrestraßenzüge in New York oder Chicago, in denen Menschen an Siebzigerjahreschaufensterscheiben vorbeigehen. Dazu die Musik, vorsichtig auf Saxofonen geblasen, mit Streichern hinterlegt, die Stimme himmelwärts gerichtet. Soul und Jazz, „Boogie, Bop or Boogaloo“, so singt Terry Callier in „Dancing Girl“ auf dem Album „What Colour is love“ von 1973. Und man denkt, dass das genau die richtige Frage ist, die zu den Fotos passt: Welche Farbe hat die Liebe im Originalzustand?

Erinnerung, Sentimentalität, das aufgeregte Ineinanderspielen von Gefühlen, die sich im Kopf nicht auflösen lassen. Das alles schwingt in einer Melodie von Callier mit, die zu Hause aus den Boxen zirpt, auch wenn die Fotos, die man aus dieser Zeit abgeheftet hat, längst rotstichig geworden sind. Deshalb geht man ja auch ins Konzert – um sich die Bilder aufzufrischen für Daheim. Und Angst hat man auch, weil es schade wäre, wenn’s danach nicht mehr so schillert. Wenn auf der Bühne das alte Bild nicht mehr immerfort neu aussieht, sondern einfach nur wie eine Bestätigung des Alterns. Abwegig sind solche Zweifel nicht: Der Mann, der da viel von Frieden, Liebe und Understanding singt, ist über die Mitte Fünfzig hinaus, sein Gesang zwar weiterhin darker als blue, aber mit den Jahren nicht mehr ganz so glänzend, ein wenig matt. Die Farbe der Stimme verblasst nicht, sie kriegt bloß Risse. Krakelees sagt der Restaurator im Museum dazu, und dann nimmt er Pinsel und Palette und bessert nach.

Bei Terry Callier war es kein Restaurator, sondern der Acid-Jazz-Chef Gilles Peterson. Als er zu Beginn der Neunziger den 1945 in Chicago geborenen Songwriter zurück in die Gegenwart der Clubkultur holte, galten Calliers Platten vor allem in Sammlerkreisen viel. Wer einmal hören wollte, wie sein „Ordinary Joe“ den Spatzen beim Zeitvertreib zusah, musste für die Hymne zum Recht auf Faulheit an die hundert britische Pfund investieren. Zu viel, fand Peterson, setzte sich mit dem Labelkollegen Eddie Pillar für die Wiederveröffentlichung des Backkatalogs ein und arrangierte einen Plattendeal mit Talkin’ Loud bzw. Polygram. Heute ist Callier, der zwischendurch schon auf Computerfachmann umgesattelt hatte, deshalb wieder dort, wo er sich wohl fühlt: auf der Bühne – ein freundlicher Mann mit grau meliertem Bart, eingerahmt von Jazz und Folk. Schön, dass es so viel Gerechtigkeit gibt.

Nicht so schön ist das Kalkül der Marketingstrategen. Sie haben den früheren Soulbarden mit Akustikgitarre als bodenständigen Entertainer neu erfunden, der Feierabendmusik für Leute spielt, die Heineken in sich hineintrinken und bei stillen Passagen ihre Freundin abknabbern. Das sind die Qualen der Unterhaltungsfront. Außerdem muss Callier im Quasimodo sechs Profimuckern vorstehen, die – selbst in die Jahre gekommen – noch einmal gepflegt auf ihren Instrumenten herumwerkeln. Wenn der Lead-Gitarrist Larry Mullen Songs wie „You’re gonna miss your candy man“ mit einem Solo vollmüllt, bekommt er viel Applaus. Das erinnert an Parteitagsreden, bei denen man sich auch ständig fragt, wieso die Leute penetrant zu Schröder oder Merz noch klatschen. Wobei Musik den Vorteil hat, dass es Pausen zwischen den Stücken gibt, in denen hemmungslos herumjohlen kann, wer will.

Für Callier bleibt in solchen Momenten der Humor und eine wohl gottgegebene Zuversicht. Wenn sich die Menschen freuen, ist es gut für den Team-Spirit. Wenn sein Keyboarder vor lauter Gedöns die Tonart nicht mehr trifft, ist es, wie Callier sagt, „überraschend“. Und wenn das Publikum nach zwei Stunden Zugabe schreit, kriegt es „Dancing Girl“. Da spricht er dann von Charlie Parker, der auf seinem Saxofon gegen den Schmerz der Rassendiskriminierung anspielt – mit vielen wirren Tönen. Nur Calliers Saxofonist interessiert sich nicht sehr für das Leiden, lieber bläst er, was das Lehrbuch hergibt. Und auch dafür hat der Sänger ein weises Lächeln übrig. Erst ganz zum Schluss, bei „Lean on me“, hört man Callier, allein mit seiner Gitarre und ein paar spärlichen Bongos, wie er vom Trost der Liebe singt, die aus seiner Stimme kommt, „til time is done“. Und die Farben leuchten darker than blue.

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