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Der schwarzen Utopie entgehen

Schriften zu Zeitschriften: Die sozialistische Schweizer Halbjahresschrift „Widerspruch“ feiert 20. Geburtstag

Die Zeitschrift besteht auf ihrem Zusatz: „Beiträge zur sozialistischen Politik“

Seit zwanzig Jahren erscheint in Zürich die politische Halbjahreszeitschrift Widerspruch – und sie schwimmt immer noch stromaufwärts. Die Zeitschrift mit einer Auflage von 2.800 Exemplaren zahlt keine Honorare und lebt dank der Solidarität der Fördermitglieder, die das Unternehmen seit zwanzig Jahren finanziell absichern.

Allein schon der Untertitel hört sich an wie eine mutwillige Geschäftsschädigung. Während viele Zeitgenossen alle Politik und zumal linke Perspektiven verabschiedet haben, besteht der Widerspruch seit 1981 auf seinem Zusatz: „Beiträge zur sozialistischen Politik“. Auch nach dem epochalen Bruch von 1989 brauchte man ihn nicht zu ändern oder wegzulassen, weil sich die Redaktion der linken Zeitschrift nie mit den staatssozialistischen Systemen in der ehemaligen UdSSR oder in Osteuropa gemein gemacht hatte. Entwickelt und hergestellt wird die Zeitschrift von einer professionell arbeitenden Freizeitredaktion, die seit langen Jahren aus Pierre Franzen, Walter Schöni und Urs Seckinger besteht.

Vierzehn Beiträge widmet das neueste Heft dem Schwerpunktthema „Zukunftsperspektiven“. Eine noch schlechtere Presse als „Zukunftsperspektiven“ und Zukunft überhaupt, die es nach dem proklamierten „Ende der Geschichte“ gar nicht mehr geben dürfte, hat nur die demokratische Linke in Europa, die nach der Einschätzung von Arnold Künzli als politik- und interventionsfähige Organisation nicht mehr existiert.

Gerade deshalb fordert der über achtzigjährige, ehemalige Basler Professor Intellektuelle und linke Zirkel dazu auf, ernsthaft über das Konzept eines „demokratischen Sozialismus“ nachzudenken. Künzli lässt sich weder von der fast unumschränkten Herrschaft des „neoliberal-kapitalistischen Imperialismus“ noch von der „ideellen und materiellen Korruption des liberalsozialdemokratischen Parteiwesens“ davon abbringen, dass aus einer „halben Demokratie“ eine ganze nur werden kann, wenn es gelingt, auch die Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu demokratisieren. Dem Gleichmacher des „globalisierten Dampfwalzen-Kapitalismus“ stellt Künzli eine Ordnung demokratischer Selbstverwaltung gegenüber.

Der Berliner Politikwissenschaftler Elmar Altvater – auch er ein erprobter Kämpe – beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der „neuen Finanzarchitektur“ angesichts der Krise, in die die zunehmende Flexibilisierung der Finanzmärkte – bei stagnierendem oder schrumpfendem realem Wachstum – geführt hat. Die Spekulation auf den Finanzmärkten treibt die Zinsen in die Höhe, verschlechtert die Position der armen Schuldnerländer gegenüber den reichen Gläubigerländern und steigert die Ungleichheit.

Die Finanzmärkte orientieren sich einzig an den Renditen und haben mit ihren schnellen Fluchtbewegungen ein Disziplinierungsmittel in der Hand, mit dem sie jede staatliche Politik in die Knie zwingen können. Indonesien, Mexiko, die Philippinen und besonders Argentinien, das allein im letzten Jahr Kredite im Umfang von 40 Milliarden Dollar aufnehmen musste, haben die Folgen des unerbittlichen Finanzregimes zu tragen: erhöhte soziale Spannungen, Auswanderungsdruck, Ruin der Zahlungsbilanz.

André Gorz, berühmt dafür, unermüdlich über die möglichen Transformationen der Arbeitsgesellschaft weiterzudenken, beschreibt die „schwerelose Ökonomie“ in einer Auseinandersetzung mit Jeremy Rifkins Buch „Access. Das Verschwinden des Eigentums“ als „totalitäres Vorhaben des Kapitals“. Große Industriebetriebe wie Nike, IBM, Compaq und viele andere besitzen nur noch wenige oder gar keine eigenen Produktionsanlagen mehr, sondern vergeben Produktionslizenzen. Gorz und Rifkin sehen darin eine „quasifeudale Arbeitsteilung“ am Werk, denn das Unternehmen, das nichts produziert, peitscht die Lizenz- und Franchisenehmer zu immer schnellerer Produktion zu immer niedrigeren Preisen. Die Zeche bezahlen die Lohnarbeiter der Dritten Welt, die die Markenprodukte zu Niedrigstlöhnen herstellen müssen.

Gorz sieht im Horizont systematisch betriebener „Wissensökonomie“, die tendenziell alles Wissen und vor allem die Institutionen des Wissenserwerbs privatisiert, eine regelrechte Kolonisierung, die Rifkin entgangen ist. Diese Kolonisierung beschränkt „die menschlichen Subjekte in ihrer Lernfähigkeit, ihrem Denken, ihrer Imagination, ihren Wertvorstellungen und in ihrer kommunikativen Aktivität“. Sie werden aus autonomen Subjekten zu halbwegs entmündigten, jedenfalls abhängigen „Kunden“ der Bildungsindustrie beim Erwerb ihrer Fähigkeiten. Um dieser schwarzen Utopie zu entgehen, setzt Gorz auf global vernetzte soziale Bewegungen, die zusammen mit neuen internationalen Institutionen nationales und globales Gemeingut geltend machen und dieses „der Logik von Waren- und Geldbeziehungen entziehen“. RUDOLF WALTHER

„Widerspruch“, 21. Jahrgang, Heft 40:Zukunftsperspektiven, April 2001, 208S., 25 sFr. (beziehbar über Postfach,CH-8026 Zürich).

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