Sängerversammler

Weitermachen. Immer weiter, weiter, weiter machen. Verschachtelter Elektropop mit Gästen: Khan lässt singen

Man kann nicht sagen, dass Khan ein Popmusiker mit einer konventionellen Biografie ist: Aufgewachsen als Sohn türkisch/finnischer Eltern in einem kleinen Ort irgendwo in Deutschland Ende der Fünfzigerjahre, zog Khan, der mit bürgerlichem Namen Can Oral heißt, in eine Stadt, die sich irgendwo in einem Korridor zwischen New York, Berlin und Mexiko befindet. „Mut zum Schlag“ nannte er seine erste Band, eine Mischung aus frühem HipHop, Elektronikavantgarde mit zwei Schlagzeugern. Beeinflusst von den No-Wave-Bands der ersten Stunde (Contortions, Teenage Jesus and the Jerks, den Neubauten, der Plan) macht er seit dieser Zeit Musik in den verschiedensten Variationen und Stilrichtungen, deren Basis jedoch immer elektronische Instrumente sind.

Khan hat eine sehr eigene Vorstellung von seiner Musik: Synthesizerpattern, rhythmisches Patchwork, kakophonisch auf- und abschwellende Songs, designt für verschiedene Sänger, die ihre Eigenheiten einbringen können. Khans eben erschienenes Album „No Comprendo“ hat über die gleichbleibende Basis von verschachteltem Elektropop hinaus verschiedene Gastsänger wie Françoise Cactus, Kid Congo Powers, Andre Williams, Jon Spencer, Julee Cuise, Diamanda Galas und Hanin Elias von Atari Teenage Riot. (Auch Fred Schneider von B 52 spielte zwei Songs ein, sein Label aber untersagte ihm die Veröffentlichung bei einer fremden Plattenfirma).

Khan geht es in erster Linie um die Zusammenarbeit mit den Leuten, die er persönlich schätzt, deren Musik er mag, sodass sich Abstimmungsschwierigkeiten gar nicht erst einstellten. Diamanda Galas Song „Aman“ beispielsweise ist sehr ruhig, aber trotzdem haunted und unwirklich. Sie singt nicht ein Wort, sondern beschränkt sich voll auf die Wirkung ihrer Stimme: dämonisch, schemenhaft und getrieben. „The Bee“ von Hanin Elias wiederum zurrt und zerrt mit süßester Melodie, unnachahmlich croont und gurrt sie: „Taste the sugar from my lips . . .“. Dazu brummt und bohrt ein schwindelerregender Bass: „Or I’ll get it from behind“ – very sexy.

Obwohl alle Musiker auf Khans Album unabhängig voneinander ihre Gesangseinlagen abgegeben haben, hat Khan jeden einzelnen von ihnen getroffen, um eine persönliche Spannung herzustellen. „Khan is a very disturbed person, but that’s all the better for our mutual enemies“, sagt dazu Diamanda Galas.

Inwieweit Khan nun wiederum all diese Leute braucht, um wahrgenommen zu werden, als Künstler oder als Mensch, wird sich zeigen. Spätestens, wenn er sein nächstes Werk der Abwechslung halber mal allein stemmt – was immer das auch sein mag: ein Theaterstück, ein Album, ein Film, wer weiß. Khan ist ein Egomane, ein Genie, ein Verrückter; die einzige Konstante, die es bei ihm gibt, ist, dass es weitergeht, immer weiter und weiter.

PETER KÄMMERER

Khan spielt heute Abend mit Hanin Elias, Françoise Cactus und Mr. Kid Congo „Gun Club“ Powers um 21 Uhr im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 5–7, Friedrichshain