: Eine richtige kompositorische Pranke...
■ Im Philharmonischen Konzert gibt es Musik von Rolf Liebermann: Eine „sinnliche Klangschönheit“, und ganz neuartige empfindungsstarke Kraft, loben Musikkritiker. Ein Interview mit dem Genaralmusikdirektor
Der berühmte Dirigent Hermann Scherchen sagte über die Musik seines Dirigierschülers Rolf Liebermann, sie habe „sinnliche Klangschönheit“ und ebenso neuartige als empfindungsstarke Kraft“. Der Schweizer Rolf Liebermann (1910-1999), legendärer Intendant der Hamburgischen Staatsoper (1959-1972 und noch einmal von 1985-88) und der Pariser Oper (1973-80), war eigentlich und ursprünglich Komponist. Jetzt widmet das Philharmonische Staatsorchester ihm einen ganzen Abend. Wir sprachen mit dem Dirigenten, Generalmusikdirektor Günter Neuhold.
taz: Herr Neuhold, gegenüber dem Kulturmanager Rolf Liebermann ist der Komponist nahezu vergessen. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Neuhold: Sein Konzert für Bigband und Symphonieorchester habe ich zuerst gehört - ein ganz großes Stück.
Liebermann verbindet in seiner Musik, von der die meiste zwischen 1943 und 1959 geschrieben ist, Atonalität, Zwölftontechnik, dramatische, opernhafte Klangeffekte, jazzige Spiellaune, Barockes und U-Musik. Ist seine Musik eklektisch?
In gewissem Sinne schon. Aber was Liebermann immer macht: er bringt den Zeitgeist hinein. Er ist überdurchscnittlich intelligent und er ist Schweizer. Das heißt: als Wurzeln hat er Kompromißbereitschaft und Weltoffenheit gleichzeitig. Diese Haltung ermöglicht sehr viel. Und er ist - eher selten als Schweizer - wahnsinnig temperamentvoll. „Furioso“ von 1947 zeigt das: eine richtige kompositorische Pranke, würde ich sagen.
Sie sprachen eben vom Concerto für Jazzband und Orchester. Was macht er anders als George Gershwin?
Gershwin verjazzt sinfonische Musik, färbt sie ein...Liebermann schreibt ein richtiges Concerto grosso, also Wechsel der beiden Gruppen. Es ist ein zwölftöniges Stück, auch der Jazz ist zwölftönig. Immer wieder aber entstehen tonale Inseln. Der letzte Satz - Mambo - ist dann die großartige Fusion der beiden Apparate.
Sie spielen das „Geigy Festival Concerto“: für Basler Trommel und Orchester. Was heißt das?
Die Basler Fasnacht ist ja überregional bekannt...da wird in der ganzen Stadt in unterschiedlichen Rhythmen getrommelt. Übrigens gibt von Erasmus von Rotterdam schon 1526 einen Bericht über die Basler Trommelwirbel! Die Trommel wird umgeschnallt und unser Trommelexperte kommt aus Basel, er tritt im Kostüm auf. Diese Wirbel, die unendlich vielen Varianten, das kann man kaum lernen, das muss man von Kindheit an in sich haben.
„Les Echanges“ für 156 Maschinen...?
...ist im Original für 16 Schreibmaschinen, 18 Rechenmaschinen, Streifenlocher, Registrierkassen, Klebestreifenbefeuchter, 16 Telefone, 40 Empfänger für Suchanlagen, Nebelhörner.....wir spielen eine Transkription für sieben Schlagzeuger, die die den Maschinen ähnliche Klänge produzieren.
Die „Medea-Monolog“ ist nach zwanzigjährigem Schweigen 1995 entstanden. Gibt es da eine stilistische Neuheit oder Besonderheit?
Also zunächst einmal: da Liebermann nicht viel komponiert hat, sondern sich immer eine spezifische Aufgabe gestellt hat, also prototypisch gearbeitet hat, ist bei ihm ein Personalstil sowieso schwer oder gar nicht zu erkennen. Der Medea-Monolog für Sopran, sechstimmigen Frauenchor und Orchester basiert ganz klar auf der griechischen Tragödie, den Affektarien der opera seria; ich meine das Vorbild ist der grosse Elektra-Monolog von Richard Strauss.
Sie setzen sich sehr für zeitgenössische Musik ein, müssen aber immer wieder in Strukturen arbeiten, in denen man diese quasi irgendwie häppchenweise oder didaktisch anbringen muss. Was muss man als Veranstalter und Interpret tun, um die zeitgenössische Musik selbstverständlicher und attraktiver zu machen?
Wir müssen überzeugt sein von dem, was wir machen und beharrlich. Mit Schrot schiessen nutzt nichts. Wichig ist die Bereitschaft eines Publikums, das uns unsere Vorschläge abnimmt und teilnimmt. Wir machen eine wahsinnige Mehrarbeit, da hoffen wir dann zuerstmal auf das Vertrauen des Publikums. Und die Musik von Liebermann ist der größte Beweis, wie hörbar, unterhaltsam und genussreich zeitgenössische Musik sein kann.
Ute Schalz-Laurenze
Heute und morgen Abend im Philharmonischen Konzert jeweils um 20 Uhr in der Glocke: Musik von Rolf Liebermann.
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