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Schmutziger Frauenkodex

Selbst der Bürgermeister von Ummendorf darf nicht ungenehmigt Scheiben wischen

Man kann ja die Fenster auch einfach aufmachen, wenn man klare Sicht möchte

„Fensterputzen, ja um Gottes willen!“, tönen die Damen aus Ummendorf und man hört das „im Leben nie“ gleich mit, ohne dass es gesagt wird. Seit fünfzehn Jahren haben sie einen dorfeigenen Frauenkodex entwickelt, und den bringt Lilo Engelhart, die Gründerin des „Nichtfensterputzvereins Ummendorf“, auf einen einfachen Nenner: Wir Frauen haben bei schönem Wetter was Besseres zu tun, als die Zeit mit Putzen zu vergeuden. „Da müssat die Fraua in d’ Sonna liega“, meint sie entschlossen und im Brustton der Überzeugung, einer Überzeugung, die man überall, nur nicht im penibel sauberen Baden-Württemberg erwarten würde.

Inzwischen zählt der Nichtfensterputzclub mehr als 110 Mitglieder und schön langsam scheint sich die Gemeinde Ummendorf gehörig ins Fensterputzerabseits zu stellen. Man halte sich nur einmal vor Augen, was da dieser Tage geschehen ist. Da marschiert doch die Vereinsvorsitzende anlässlich einer Radiosendung über ihren Verein schnurstracks ins Rathaus – und wirbt den Schultes, wie hier der Bürgermeister genannt wird, prompt als neues Mitglied. Und seine Sekretärin gleich mit. Der Schultes ist nun freilich keineswegs der bekannteste und leidenschaftlichste Fensterputzer in Oberschwaben, aber immerhin ein Aushängeschild für die nicht ganz kleine Gemeinde mit ihren 2.500 Einwohnern.

Seine acht Autoscheiben darf er künftig nicht mehr putzen – wenn Lilo es nicht erlaubt. Man muss an dieser Stelle vielleicht einmal die Regeln ein wenig erläutern: Striktes Fensterputzverbot besteht vom Faschingsanfang am 11. 11. bis zum 1. Mai. Da soll sich nur ja keine der Mitgliederinnen oder der Mitglieder erwischen lassen. Sonst setzt es eine fürchterliche Strafe. „Entweder die Sünderin muss auf der Stelle alle verfügbaren Mitglieder des Nichtfensterputzvereins zum Kaffeekränzchen einladen, oder sie muss nach dem 1. Mai für alle anderen die Fenster putzen.“ Nach dem 1. Mai deshalb, weil danach bestimmte Ausnahmeregelungen denkbar sind.

„Das unnötige Fensterputzen macht keinen Spaß“, erklärt Martha trocken. Charlotte ergänzt: „Das bringt natürlich enorm was für die Freizeit, man geht öfter mal ins Städtle, tut die Frühjahrskollektion studieren.“ Schließlich, das haben sie hochgerechnet, wird eine komplette Woche pro Jahr und Haushalt fürs Fensterputzen verschwendet. Grob überschlagen sieht das wie folgt aus: durchschnittlich 30 Fenster pro Haus mal 20 Minuten je Fenster macht 600 Minuten oder 10 Stunden. Das Ganze viermal im Jahr sind vierzig Stunden – vergeudete Zeit!“

Maria erläutert, wie der Ablauf ist, wenn nach dem 1. Mai doch einmal geputzt werden soll: „Das darf man erst, wenn die Lilo es genehmigt.“ Die Vereinsvorsitzende ergänzt: „So ab dem 1. Mai kommen immer wieder die Anrufe, darf man putzen? Dann sag ich: Nein, die Sonne scheint, erst rauslegen. Dann regnet’s, Frage: Darf man heute putzen. Nein, erst hinlegen und ein Buch lesen ...“ Ab und an gibt es dann großherzig doch die Ausnahmegenehmigung, wenn Familienfeiern anstehen zum Beispiel. Am liebsten ist es den Frauen freilich, wenn die Männer, die nicht Mitglied sind im Nichtfensterputzverein, das leidige Thema erledigen, während die Damen einen Ausflug unternehmen. Einmal, vor nicht allzu langer Zeit, probten einige Männer im Ort den Aufstand. „Jetzt ist es losgegangen. Was gibt’s da, einen Nichtfensterputzverein. Ja, was fällt der da hinten ein? Ja, da gehst du nicht rein, hat beispielsweise ein Mann zu seiner Frau gesagt. Die hat sich dann aber kleinlaut sagen trauen, da bin ich schon lange drin!“

Die Männer von Ummendorf haben klein beigegeben, haben sich inzwischen an die verschmierten Scheiben gewöhnt. Man könne ja die Fenster auch einfach aufmachen, wenn man klare Sicht möchte, erklärt Charlotte. Lilo merkt noch an: „Außerdem wird das Glas so dünn, wenn man dauernd scheuert. Man könnte also sagen: Dünn gescheuert ist echt bescheuert.“ Und bescheuert sind sie nach eigenem Bekunden nicht, die Frauen des Nichtfensterputzvereins Ummendorf, die erst jüngst nach der besagten Radiosendung auch zwei Ehrenmitgliederinnen aus dem benachbarten Freistaat Bayern aufgenommen haben. Bislang noch unbestätigten Meldungen zufolge plant jedoch die Regierung Stoiber ein Verbot einer Zweigstelle des Vereins auf blauweißem Boden.

KLAUS WITTMANN

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