: Der Over-Actor
Er spielte nie die Rollen, in denen man das Mädchen kriegt. Anthony Quinn, der Ausländer und das Alpha-Männchen im Hollywoodsystem, ist tot
von JENNI ZYLKA
Diese tiefen Falten im Gesicht, die ihm stets den Ausdruck des still vor sich hin brütenden, unleidigen Patriarchen gaben. Diese Falten haben ihm die besten und erfolgreichsten Rollen beschert. Anthony Quinn, geboren 1915 als Antonio Rudolfo Oxaca Quinones in Chihuahua, Mexiko, hat sich diese Falten redlich erarbeitet, oder besser: erlebt. Ein temperamentvoller halbirischer Vater, eine mexikanisch-indianische Mutter, kein Geld, keine Ausbildung: So fing seine Karriere an. Mit 18 Jahren boxte der spätere 90-Kilo-Mann im Weltergewicht, für 10 Dollar pro Kampf. Er arbeitete als Schlachter, als Taxifahrer und als Straßenprediger.
Aber dann kam die Kunst, zuerst die bildende: Quinn hing als junger Mann in den Selznick-Studios herum und malte die Stars, porträtierte Rudolfo Valentino, Douglas Fairbanks. Als er sich mit 21 schon für eine lange Fischfangtour verpflichtet hatte, flatterte endlich das ersehnte Angebot auf den Tisch: einen Indianer im Film „The Plainsman“ sollte der dunkle, sehnige Mann mit der finsteren Miene spielen. Und zwar neben dem etablierten Westernhelden Gary Cooper. Cooper als Wild Bill Hickok, Quinn als Cheyenne, Regie: Cecil B. DeMille. Beim Vorsprechen radebrechte Quinn sich als „echter“ Cheyenne-Indianer mit starkem Akzent durch die Vorstellung. DeMille gefiel es nicht, Cooper aber umso mehr: „He’s a nice kid. Give him a break“, mit diesen Worten soll Cooper, so will es die Legende, DeMille überredet haben, den maskulinen Mann zu verpflichten.
Es folgte ein Film nach dem anderen. Quinn spielte sich, meist als Indianer, Mexikaner oder Ausländer (Italiener, Spanier, Grieche), durch die 30er und 40er in Hollywood. „I never get the girl“, sagte er einmal über seine Rollen – nie war er es, der das Mädchen kriegte. Denn mit der Anerkennung haperte es zunächst. Nachdem er 1947 wegen „Kommunisten-Sympathisantentum“ unter Beschuss geriet, ging er eine Weile nach New York, an den Broadway. Dort spielte er lange den Stanley Kowalski in „A streetcar named desire“, die Rolle, die Marlon Brando erfolgreich im Film verkörperte. Neben Brando bekam er wenig später seinen ersten Oscar für eine Nebenrolle: als Bruder des Rebellenführers Zapate in „Viva Zapata!“, 1952. Er hatte stets extrem starke Gegenspieler.
In den 50ern spielte Quinn verstärkt in europäischen Nouvelle-Vague-Filmen, die Hollywood erst einmal entdecken musste, wie Fellinis „La Strada“. Eine Paraderolle war 1955 der buckelige Quasimodo in „Der Glöckner von Notre Dame“. Quinn schnurrte seine 1,86-Meter-Alpha-Männlichkeit zu einem knotigen, humpelnden, sabbernden, verliebten Wesen zusammen, das so rührend wie hündisch hinter Gina Lollobrigida herschleicht. Aber die Rolle, mit der ihn die Welt am stärksten identifiziert, ist die des Sirtaki tanzenden „Alexis Sorbas“, 1964. Nicht wenige dachten damals, er sei gebürtiger Grieche.
Ein Jahr später trennte sich Quinn nach 28 Ehejahren von seiner ersten Frau (Katherine, einer Adoptivtochter Cecil B. DeMilles), um die italienische Kostümbildnerin Yolanda Addolari zu heiraten, 20 Jahre jünger als er und bereits Mutter zweier seiner Kinder; insgesamt war er 13-mal Vater. Mit ihr blieb er 31 Jahre zusammen, machte zwar nach wie vor einen Film nach dem anderen, aber sein Over-Acting, seine starke Physis schubsten ihn zunehmend in die B-Movie-Ecke.
In den 90ern, in denen eine Scheidung mit schmuddeligen Details (angeblich hat er seine Frau geschlagen, sagte einer seiner Söhne aus) sein Privatleben an die Öffentlichkeit zerrte und er wiederum Vater wurde (die Mutter war seine junge Sekretärin), entdeckten ihn einige Regisseure wieder, Spike Lee besetzte ihn zum Beispiel in „Jungle Fever“. Der Silberrücken Quinn lebte bis zu seinem Tod durch Lungenversagen am Sonntag in Providence, Rhode Island, umringt von Familie, einer Riesen-Kunstsammlung (u. a. ein Picasso), eigenen Bildern und Skulpturen und Erinnerungen an sieben Jahrzehnte Filmbusiness.
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