: Coppis Gipfel bleibt verwaist
Nach einer nächtlichen Dopingrazzia in den Hotels aller vertretenen Radsportteams wird die 18. Etappe des Giro d’Italia über die Cima Coppi abgesagt, ein Abbruch des Rennens jedoch verworfen
aus San Remo SEBASTIAN MOLL
Um 9.25 Uhr am Donnerstag hätten die Fahrer der 20 am Giro d’Italia teilnehmenden Mannschaften am Start in Imperia stehen sollen, um die schwerste Etappe der Rundfahrt über 230 Kilometer und vier Alpenpässe, unter anderem die 2.511 m hohe Cima Coppi, in Angriff zu nehmen. Stattdessen saßen sie im Konferenzsaal des mondänen Hotel des Anglais in San Remo und berieten, ob sie den Giro überhaupt zu Ende fahren sollten. Grund hierfür: In der Nacht zum Donnerstag hatte die Sondereinheit der italienischen Polizei zur Bekämpfung des Sportbetrugs (NAS) von rund 200 Beamten die Zimmer aller Fahrer und Mannschaftsangestellten durchsuchen lassen. Bis weit in die Morgenstunden hatte die Aktion gedauert, die unter anderem illegale Mittel wie Stimulanzien, Kortikoide und Anabolika an den Tag brachte. Gefunden wurden auch „Minilaboratorien“.
Die Betroffenen zeigten sich am folgenden Tag wenig geneigt, sich all das gefallen zu lassen. Nach einer zweistündigen Debatte entschlossen sie sich, am Donnerstag nicht an den Start zu gehen. Heute soll es jedoch wie geplant mit der 19. Etappe von Alba nach Busto Arsizio weitergehen. Einer, der bereits in der Nacht von der Polizei abgeführt wurde, war Roberto Pugnalato, der Masseur von Marco Pantani. Bei ihm beschlagnahmte die Polizei eine Tasche mit, wie Pugnalato beteuerte, „Mitteln zur Regeneration“, die sich aus Koffeinpräparaten, Kortikoiden und Steroiden sowie Ampullen, bei denen die Etiketten entfernt wurden, zusammensetzten. Auch beim Team Telekom waren die Fahnder zu Gast. „Die Beamten waren sehr freundlich. Sie haben aus meinem Koffer Asthmamittel und Kortisonpräparate mitgenommen. Aber das sind Standardmedikamente, nichts Dramatisches“, berichtete Telekom-Mannschaftsarzt Lothar Heinrich vom nächtlichen Besuch.
Die gestrige Razzia war freilich nicht die erste im Verlauf des diesjährigen Giro. Eine Grundlage des Durchsuchungsbefehls waren Untersuchungen der Staatsanwaltschaft in Florenz, die am 27. Mai in Montecatini die verlassenen Hotels der Teams durchsuchen ließ. Dabei waren Spritzen und Infusionsgeräte gefunden worden, nicht aber zugehörige Medikamentenverpackungen. Darüber hinaus konnten die Dopingfahnder des Radsportverbandes UCI in den letzten Tagen vier Dopingfälle ausfindig machen. So stellten sich die Proben von Sergio Barbero und Roberto Farconi, genommen bei der Romandie-Rundfahrt, als Epo-verseucht heraus, zudem waren bei den Schwiegereltern von Ivan Gotti, Giro-Sieger 1997, verdächtige Medikamente entdeckt worden. Und erst am Vortag war Pascal Hervé mit einer positiven A-Probe auf Epo aufgefallen. Für die Polizei allemal genügend Verdachtsmomente, um die gestrige Großrazzia durchzuführen, zumal der Zeitpunkt günstig gewählt schien: Vor einer schweren Bergetappe würde, so die Erfahrung, besonders mit Doping zu rechnen sein.
Ermöglicht hatte die Razzia ein Anti-Doping-Gesetz, das Italien im vergangenen Jahr und als zweites Land nach Frankreich erlassen hatte. Dieses gibt den Behörden überhaupt erst die rechtliche Handhabe, derart massiv gegen Sportler vorzugehen, bisher konnten diese wegen Dopingvergehen nicht strafrechtlich belangt werden. Zudem gibt das neue Gesetz dem Staat die Macht, sich über die trägen Verbände hinwegzusetzen, die vorwiegend daran interessiert sind, den Imageschaden ihres Sports in Grenzen zu halten.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich Hein Verbruggen, Präsident des internationalen Radsportverbandes UCI, auch gestern mit den Fahrern solidarisierte: „Ich habe immer die Justiz unterstützt“, behauptete Verbruggen. „Aber die Art und Weise wie hier vorgegangen wird, ist nicht akzeptabel.“ Beim UCI-Präsidenten wurden vermutlich unliebsame Erinnerungen an Frankreich 1998 wach. In Folge der Untersuchungen der französischen Staatsanwaltschaft während der damaligen Tour musste sich Verbruggen vor einem französischen Gericht verantworten. Genau das könnte ihm nun auch in Italien blühen.
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