: Japans traurige Prinzessin
von CHIKAKO YAMAMOTO
An starken Frauenbildern fehlt es Japan nicht. In den Sechzigerjahren infizierte Yoko Ono die Beatles mit Avantgardegeschmack, in den Siebzigern revolutionierte die Modeschöpferin Rei Kawakubo mit ihrer Firma „Comme des garçons“ den Pariser Laufsteg, in den Achtzigern gab die Sozialistenchefin Takako Doi japanischer Politik ein weiblich-emanzipiertes Aussehen. In den Neunzigern wurde schließlich auch die älteste Frauenrolle des Inselreichs progressiv besetzt: Nach Jahren des Zögerns entschloss sich die Berufsdiplomatin Masako Owada im Frühjahr 1993, den japanischen Thronfolger Prinz Naruhito zu ehelichen. „Die widerwillige Prinzessin“, titelte das amerikanische Maganzin Newsweek.
Das war vor genau neun Jahren – ein Festtag der Emanzipation. Die Frauenbewegung jubelte: „Eine Karrierefrau zieht ins Kaiserhaus.“ Doch dann verschwand die attraktive Vorzeigefrau hinter den dicken Mauern des Tokioter Tennopalastes. Man sah sie auf Sportveranstaltungen und offiziellen Empfängen, näher kam man ihr nicht. Kein freies Wort von ihr drang in all den Jahren an die Öffentlichkeit. Nur drei Mal durfte sie in dieser Zeit mit ihrem Mann ins Ausland reisen. Newsweek besann sich eines anderen und betitelte sie nun als „verschwundene Prinzessin“. Andere verspotteten ihren scheinbar zeugungsunfähigen Ehemann als „tote Hose“.
Zu Unrecht. Heute, an ihrem neunten Hochzeitstag, tritt die inzwischen 37-jährige Prinzessin zurück ins Rampenlicht. Denn Masako ist im vierten Monat schwanger. Alle Augen richten sich wieder auf sie. Zum ersten Mal seit 35 Jahren könnte dem japanischen Kaiserhaus ein Thronfolger geboren werden.
Wird Masako Owada, Weltenbummlerin und Harvardabsolventin, nun ihrem Ruf gerecht? Wird sie mit dem Prinzen Geburtskurse belegen, um ihn später Windeln wickeln zu lassen? Oder wird sie sich der neuen konvervativ-nationalen Stimmung unter Premierminister Junichiro Koizumi beugen und die brave Ehefrau mimen?
Schon ihre Heirat war eine Sensation. Nicht nur, weil der damals schon 33-jährige Naruhito endlich eine Frau gefunden hatte, sondern weil diese überhaupt nicht ins traditionelle Frauenbild des Kaiserhauses zu passen schien. Schließlich steht die imperiale Tradition in Japan für Reinrassigkeit, Nationalismus und eine Urzeitreligion namens Schintoismus, dessen höchster Priester bis heute der Kaiser ist.
Masako aber ist die Tochter eines hohen Diplomaten und verbrachte bis zur Hochzeit die Hälfte ihres Lebens im Ausland. Die selbstbewusste Karrierefrau wollte ihren Dienst im Außenministerium nie aufgeben. Naruhito, der sich bei der ersten Begegnung in Masako verliebt hatte, brauchte fünf Jahre, bis seine Traumfrau einwilligte – was nur unter dem Druck von Kaiserin Michiko geschah, die der künftigen Schwiegertochter mehr Freiheit versprach, als sie selbst genossen hatte. Denn gerade die Mutter des Kronprinzen hatte gelitten, als sie 1959 als erste Bürgerliche ins Kaiserhaus einzog. Abgemagert und Mitleid erregend war ihr Gesicht während der ersten Jahre am Hof. Wohl deshalb hatte sich Masako lange Zeit sogar öffentlich gegen eine Heirat mit Naruhito verwahrt.
Umso größer war die Überraschung, als die Umworbene ihren Beruf schließlich doch hinschmiss, um in eines der konservativsten Adelsgeschlechter der Welt einzuheiraten. Nun zeigte sich das konservative Lager besorgt, ob diese moderne Frau die „rein japanische“ Denk- und Lebensweise des Kaiserhauses überhaupt verstehen und akzeptieren würde. Feministinnen diskutierten derweil, ob Masako Reformen im starren Hofleben durchsetzen könnte. Die Mehrheit der Japaner aber hoffte schlicht, dass sich die Kaiserfamilie ein bisschen öffnen und zumindest eine allgemein verständliche Sprache annehmen würde, statt gefühllos die ewig gleichen Formeln zu murmeln.
Doch weit gefehlt. Schon nach der Verlobungspressekonferenz wurde Masako von den konservativen Hofbeamten kritisiert, weil sie dreißig Sekunden länger als ihr künftiger Gatte geredet hatte und mit klaren Worten ihre Meinung äußerte. Das war das vorerst letzte Mal, dass Masako Standvermögen zeigte. Seither sieht man nur noch eine Frau, die genauso steif lächelt wie alle anderen Angehörigen des Kaiserhauses – und die dabei ein paar förmliche Sätze herauspresst, die sie vorher auswendig gelernt hat. Kein Hauch mehr von der Dynamik und Lebensgier ihrer Studienzeit.Vereinsamt und müde wahrt sie stets die protokollgemäßen drei Schritte Abstand hinter ihrem Mann.
Ob sie dem Druck widerstehen könnte, wenn sie wollte? Eins ist inzwischen klar: Masako hat nie vorgehabt, einen Kampf gegen die Regeln des Hofes zu führen. Sie wollte lieber vergessen, wie das Leben anderswo ist. Einmal sagte ihre Mutter: „Ich betrachte meine Tochter als ein wichtiges Geschenk, das wir ans Kaiserhaus weitergegeben haben.“ So wurde Masako eine Frau, die nach alter Sitte dem Haus des Ehemanns gehört.
Ihr Mann gilt zwar als anständig, aber er ist ohne jede Ausstrahlung. Er ist kleiner als seine Frau – und unauffällig. Ein offizielles Foto, das die beiden während eines Hundespaziergangs zeigt, symbolisisert die Biederkeit des Paares. In den vergangenen Jahren wandte sich sogar die Boulevardpresse vom Kaiserhaus ab. So viel Langeweile war noch nie.
Nur Masakos mögliche Schwangerschaft schien noch Abwechselung zu versprechen. Wenn die Prinzessin einen offiziellen Termin ausfallen ließ oder flachere Schuhe trug, hieß es jedes Mal, die Kronprinzessin sei schwanger. Und jedes Mal stellte man fest, dass die Wahrheit anders lautete. Der Kronprinz gab auf Pressekonferenzen stets die gleiche Antwort: „Das muss man dem Storch überlassen.“
Die Spekulationen erreichten Ende 1999 den Höhepunkt. Erneut war von einer Schwangerschaft die Rede, kurz darauf erlitt Masako eine Fehlgeburt. War der Traum vom Thronnachfolger ausgeträumt? Den Japanern bot sich nun das Bild einer traurigen Prinzessin, die im Kaiserhof vereinsamte und ihre Aufgabe, ein Kind zu gebären, nicht erfüllte.
Der einzige Trost sei ihr Mann, hieß es damals. Auf einer Pressekonferenz formulierte Masako ihre Dankbarkeit gegenüber Naruhito: „Ihre Hoheit hat mich immer mit tiefster Rücksicht gestützt.“ Wo aber war die Frau geblieben, die einst mit der Arbeitstasche um die Welt reiste, um die Außenpolitik ihres Landes mitzugestalten?
Nun ist sie schwanger, nach acht Jahren Ehe. Der Hof bittet die Öffentlichkeit, keinen Wirbel zu machen, damit die Prinzessin nicht zusätzlich belastet werde. Sie brauche Ruhe.
Aber schon ist eine neue Diskussion entbrannt: Darf in Zukunft eine Frau den Thron besteigen? Nach dem Gesetz dürfen derzeit nur Männer Kaiser werden, obwohl es in der japanischen Geschichte bereits mehrere Kaiserinnen gab. Seit 35 Jahren gebärt die Kaiserfamilie nur noch Mädchen. Falls Masako ein Töchterchen bekommt, wird es ernst. Premierminister Koizumi hat sich bereits für eine Gesetzesänderung zu Gunsten einer künftigen Kaiserin ausgesprochen. Dabei zählt einzig und allein die Erhaltung des angeblich ältesten ununterbrochenen Kaisergeschlechts der Welt. Gleichberechtigung spielt keine Rolle. Ein Junge in Masakos Schoß würde die Diskussion sofort beenden.
Hingegen steht jetzt erstmals eine Frau an der Spitze des japanischen Außenministeriums. Wäre Masako im Beruf geblieben, würde sie heute unter einer durchsetzungsfähigen, rebellischen Chefin arbeiten. Makiko Tanaka ist die Tochter des ehemaligen Premierministers Kakuei Tanaka. Doch sie scherte sich nicht um ihre Herkunft, studierte im Ausland und kehrte nie wieder in ihre Familie zurück. So wie die meisten beruflich erfolgreichen Frauen in Japan.
Diese Frauen fühlen sich ihrer Familie und ihren Arbeitgebern nicht mehr im traditionellen Sinn verpflichtet. Immer noch wird von ihnen erwartet, irgendwann zu heiraten, Kinder zu kriegen und auf den Beruf zu verzichten. Doch verfügen sie heute über viele Vorteile in einer sich schnell verändernden Gesellschaft.
Die meisten japanischen Männer schauen hilflos zu, wenn ihre Firma, in der sie bis zum Rentneralter bleiben wollten, Arbeitsplätze kappt oder bankrott geht. Frauen lassen sich stattdessen neue Ideen einfallen, gründen Firmen, gehen an die Börse oder ins Ausland. Die Folge: Aktive Frauen wollen nicht mehr heiraten oder lassen sich scheiden, weil die Familie für sie zu viele Lasten mit sich bringt. Denn trotz allen Wandels erwarten die meisten Japaner von einer Frau immer noch, dass sie sich allein um Haushalt und Kinder kümmert.
Masako ging den umgekehrten Weg. Ihr blieb jahrelang nichts anderes übrig, als sich alle Mühe zu geben, schwanger zu werden. Mit Erfolg! Nun könnte ausgerechnet das Kind ihr Leben erleichtern. Denn jetzt erfüllt Masako ihre Pflicht als Prinzessin und Mutter eines Thronfolgers oder einer Thronfolgerin.
Ihr Einfluss am Hof dürfte dadurch wachsen. Ein starkes Frauenbild aber gibt sie deshalb noch lange nicht ab. Es sei denn, sie bricht erneut mit den Regeln und beansprucht wieder mehr Redezeit als ihr Mann. Oder sie lässt ihn das Baby versorgen. Erst dann begänne ihr zweiter Aufstieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen