: Berliner Verhältnisse – nichts für Bremen
■ Ein Bankenfilz-Skandal sprengte die Berliner Koalition. Eine neue Politik muss noch erfunden werden, darin sind sich der Sozialdemokrat Dopatka und die PDS-Chefin Petra Pau einig.
Seit 1. März ist der Bremer Jurist und frühere Bremer Staatsrat Dr. Friedrich-Wilhelm Dopatka Staatssekretär im Ressort für Gesundheit und Arbeit in Berlin. Kaum zwei Monate im Amt - schon kracht die dortige große Koalition. Dopatka war 1995 vehement für die große Koalition in Bremen. Wir fragten ihn – und die PDS-Landesvorsitzende Petra Pau, die gestern in Bremen war, um über die S Bremer Laanierungspolitik von Stadtstaaten zu diskutieren – nach den Parallelen zwischen der Berliner und derge.
taz: Ist das, was in Berlin derzeit passiert, ein Modell, um auch in Bremen die große Koalition loszuwerden?
Friedrich Dopatka: Nein. Es gibt in Bremen nicht diese politische Lage. In Berlin gibt es ein Finanzdesaster bei einer mehrheitlich staatlichen Bank. Sechs Milliarden sind weg, das ist ein Sechstel des Haushaltsvolumens. Dass die SPD da einen Schnitt gemacht hat, ist nachvollziehbar. Schwieriger ist die Frage, was nun kommt.
Früher hätte man gesagt: Das sanierungsbedürftige Berlin könnte eine Reformkoalition bekommen. Was könnte die SPD mit den Grünen, unterstützt von der PDS, für eine Sanierungspolitik machen?
Es gibt unter den Haushaltspolitikern einen relativ großen Konsens, den Konsolidierungsbedarf im Berliner Haushalt aufzuspüren und in den Bereichen abzuspecken, wo das Land eine bessere Ausstattung hat als der Bundesdurchschnitt. Berlin wird aber auch auf Bundeshilfe angewiesen sein. So eine Museumsinsel zum Beispiel kann ein Bundesland mit dreieinhalb Millionen Einwohnern nicht finanzieren, dazu muss sich der Bund bekennen.
Das Hauptproblem bei der Sanierung besteht aber darin, dass das Wirtschaftsleben Berlins nicht in Gang gekommen ist. Wir haben im Jahre 2000 ein Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent gehabt, Bremen hat 2-3 Prozent. Es gibt große Infrastrukturprojekte, die nicht vom Fleck kommen, etwa der Flughafen Schönefeld. Es gibt einen dramatischen Mangel an Industriearbeitsplätzen ...
Das sind alles auch Aufbau-Ost-Probleme ...
Das sind auch West-Probleme, weil die Industrie sich aus Westberlin zurückgezogen hat nach dem Wegfall der Berlin-Zulagen.
Das bedeutet: Die Berliner SPD muss zusammen mit den Grünen und der PDS eine unternehmerfreundliche, investitions- und wachstumsorientierte Wirtschafts-politik machen?
Die Koalition steht noch nicht fest. Im Herbst wird gewählt, dann muss man sehen, was für Mehrheiten sich ergeben. Auf jeden Fall muss eine Koalition unter Führung der SPD einen entscheidenden Akzent auf die Investition in die Infrastruktur setzen.
Hat die SPD für diese Aufgabe einen geeigneten Politiker?
Zurzeit werden Namen für den neu gebildeten Senat nicht genannt. Das Wichtigste ist, dass man überhaupt das Problem erkennt.
Bremen fährt weiter gut mit der großen Koalition?
Über Parteien will ich hier nicht reden. Es ist wichtig, die Infrastruktur zu entwickeln, auf den Zusammenhang von Wissenschaft und Gewerbeansiedlung zu setzen und die Stadt attraktiv für Zuwanderung zu halten. Berlin ist übrigens interessant für Zuwanderer. Wir haben keinen Mangel an jungen Leuten, wir müssen viel tun für den Ausbildungssektor. Das rechtfertigt in Berlin Optimismus. Die Menschen empfinden Berlin als attraktiv. Berlin ist übrigens auch freundlich gegenüber Zugewanderten.
Es wird nicht gefragt, wo man geboren ist?
Das spielt keine Rolle. Und man begegnet sich offener als es unter den weltoffenen Hanseaten üblich ist.
Hat der Bundeskanzler nicht auch ein großes Interesse daran, dass der permanente Kuhhandel um die fehlenden Stimmen im Bundesrat zu Ende geht? Also dass ein oder zwei große Koalitionen weniger im Bundesrat blo-ckieren?
Für jeden Bundeskanzler spielt die Zusammensetzung des Bundesrates eine wichtige Rolle. Aber wenn es nicht dieses Desaster mit der Landesbank gegeben hätte, wäre diese Koalition hier nicht auseinander gebrochen.
taz : Ist das Berliner Spiel „Große-Koalitions-Brechen“ ein Modell für Bremen?
Petra Pau, Landesvorsitzende der Berliner PDS: Die Zukunftsfrage stellt sich für alle Stadtstaaten, darin ist die Situation vergleichbar. Aber das Problem, vor dem Berlin steht, ist einmalig: 70 Milliarden Mark Schulden ...
Bremen hat mehr, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet.
... Was die Lebensfunktionen der Stadt angeht ist es in Berlin mehr. Die SPD hat in allerletzter Minute die Notbremse gezogen, um sich aus der Umarmung der CDU zu befreien. Die SPD war Bestandteil nicht nur der großen Koalition, sondern auch dieses alten Westberliner Systems von gegenseitigen Abhängigkeiten und Gefälligkeiten und Filz, das die Stadt erdrückt. Das hat zu diesem einmaligen Bündnis für Neuwahlen geführt, das von der FDP, also der Berliner außerparlamentarischen Opposition, über die Grünen und die PDS bis zu dem millionenschweren Unternehmer Peter Dussmann geführt. Es muss ein Neuanfang her.
Gibt es ein Konzept für eine andere Sanierungspolitik?
Bisher hat die SPD die Politik der CDU mitgetragen. Das ist also eine Aufgabe für die SPD. Ich kenne aber keine Partei in Berlin, die das Rezept zur Sanierung dieses Haushaltes hat. Jeden Tag kommen 100 Millionen Mark an Zinszahlungen auf den Schuldenberg drauf. Mit dem Schnitt bekommt Berlin aber auch die Chance, noch einmal auf die Bundesregierung zuzugehen und um solidarische Hilfe zu bitten. Hauptstadtfunktionen müssen von den Funktionen der Kummune und des Landes Berlin getrennt betrachtet werden.
Die PDS-Politiker müssten, wenn Sie mitregieren, in die Stadtteile gehen und die Sparpolitik erklären.
Wir sind jetzt schon in der Situation. Wir stellen in Marzahn-Hellersdorf und in Lichtenberg-Hohenschönhausen die Mehrheit, „Bezirk“ heißt in Berlin: Großstadt von 300.000 Einwohnern. Kein PDS-Bürgermeister, kein PDS-Stadtrat kann sich da drücken.
Will die PDS denn in die Regierung? In Sachsen-Anhalt gibt es das Tolerierungsmodell. Lässt sich das auf Berlin übertragen?
Das dürfte in der Hauptstadt nicht zu machen sein, wenn wir mit 20 Prozent aus der Wahl herauskommen und es ohne uns keine Regierungsmehrheit gibt.
Das heißt: Regierung oder Opposition?
Ich halte es nicht für ehrenrührig, wenn man als gestärkte Opposition aus einem Wahlkampf herauskommt. Die PDS geht zudem ein hohes Risiko ein, wenn sie sich auf diese Konstellation einlässt. Die Leute werden im Jahre 2002 fragen: Hat es sich gelohnt, PDS zu wählen? Dann geht es darum, ob die PDS wieder in den Bundestag kommt.
Kann sich die Berliner SPD erneuern? Ist sie regierungsfähig ohne die CDU? Gibt es eine Figur, die als Wirtschaftssenator denkbar ist?
Ich verteile hier nicht die Posten für die SPD. Die Frage, was die SPD anders machen will als in der großen Koalition, hat sie bisher nicht beantwortet. Fragen: K.W.
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