: Charlie hätte seine Freude gehabt
■ Das Bremer Sextett „Mingus Fingus“ überzeugte im Studio auf den Höfen mit einer Hommage an den knurrigen Bassisten und Komponisten Charles Mingus
Sich an das Werk eines der eigenwilligsten Jazzorginale zu wagen, zeugt in zweierlei Hinsicht von gesundem Selbstbewusstsein. Erstens bilden die Kompositionen Mingus eine eigenständige musikalische Welt, außerhalb des Mainstream, aber immer mit ihm verknüpft. In einzigartiger Weise verband Mingus schon in den 50er Jahren Einflüsse der schwarzen Musiktradition wie Blues, Worksong und Gospel mit Elementen des traditionellen und zeitgenössischen Jazz bis hin – lange vor dem Freejazz – zu freien, spontan improvisierten Formen. Zum Zweiten versammelte er Musiker um sich, die zu den Größen ihrer Zeit gehörten, Posaunisten wie Jimmy Knepper, Saxophonisten wie Eric Dolphy und Pianisten wie Horace Parlan.
Das ist zunächst eine ziemlich hohe Messlatte, andererseits sind die meisten Kompositionen Mingus so großartig, dass man als Musiker schon einiges anstellen muss, um sie richtig zu verhunzen. Worum es eigentlich geht, ist, den grandiosen Drive der Stücke oder die seelenvolle, gospelige Stimmung einzufangen und gleichzeitig die vielschichtigen, manchmal sperrigen Strukturen zu bewältigen. Dies ist der Band um den Bassisten und Leader Thomas Milowski, der die Stücke neu arrangierte, ziemlich gut gelungen. Dabei haben sie sich nicht einzig auf treibende Powernummern wie das Intro „Better get it in your soul“ verlassen, sondern überzeugten auch in Balladen und komplex strukturierten Stücken wie beispielsweise „What Love“, eines der ersten Stücke ohne durchgängigenBeat, oder das dem großen Tenoristen Lester Young gewidmete „Goodbye Pork Pie Hat“. Schlagzeuger Oliver Spanuth und Leader Milowski grundierten die Stücke kompetent und steuerten einfallsreiche Soli bei. Zu beeindrucken wusste auch Altsaxophonist Eckart Petri, der in seinen Soli ein bisschen rauer aufspielte als man es sonst von ihm gewohnt ist, Assoziationen an die großen Vorbilder aufklingen ließ und sehr schön das Element der „gebremsten Wildheit“ herausarbeitete. Gitarrist Peter Apel übernahm den Pianopart der Originalbesetzungen und pflegte in seinen Soli die rockigen Elemente, die schon früh in Mingus Musik enthalten sind. Von Tenorsaxophonist Paulo Pereira, Gast aus Hamburg, und insbesondere Posaunist Sven Züllchner hätte man sich manchmal etwas mehr Power und einen treibenderen Ansatz gewünscht. Auf jeden Fall hätte Charlie Mingus seine Freude gehabt und sicher hat derAuftritt dem einen oder der anderen im gutbesuchten Studio die selten aufgeführte Musik des Einzelgängers näher gebracht. Arnaud
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