piwik no script img

Suche nach dem Wunderbaren

Auf den Spuren der in der Landschaft verborgenen Legenden, zu Orten, wo sich keltische Heiligtümer mit christlichen Kirchen abwechseln und die eigentliche Magie in der von Geistern beseelten Natur herrührt

Während meiner Reise durch Südwestengland und Irland habe ich mich auf die Suche nach dem alten Mythos der von Göttern und Geistern beseelten Natur begeben. Ich wusste, dass die damals dort ansässigen Kelten eine Vorstellung von einer unsichtbaren Welt des Jenseits hatten, in die sie nach ihrem Tod zu gelangen glaubten. Diese Welt nannten sie „Anderswelt“ oder das „Land der Sídhe“.

Sídhe sind irische Feen, die von der Göttin Dana und ihrem Volk Tuatha dé Danaan abstammen. Sie erhielten ihren Namen nach dem altirischen Wort für ihre Hügelwohnungen (= sídh). In der irisch-keltischen Mythologie glaubten die Menschen, nach ihrem Tod in die andere Welt der Sídhe zu gelangen. Diese Welt kennt keine räumlichen Grenzen. In der Vorstellung der Lebenden liegt sie irgendwo auf Inseln im westlichen Ozean, im Wasser oder unter der Erde. Ein Ort der Zeitlosigkeit, des Überflusses, der Unsterblichkeit.

Vielen irischen Heiligtümer schreibt man noch heute spirituelle Kräfte zu. Zum Beispiel megalithischen Friedhöfen aus der Steinzeit, Steinkreisen aus der Bronzezeit, keltischen Steinforts und anderen Kultplätzen aus der Eisenzeit. Die Kelten vermuteten überall in der Natur Geister. Jeder Stein und jede Quelle war beseelt. Wasser wurde aufgrund seiner Leben spendenden und Leben zerstörenden Eigenschaften hoch verehrt. Bäume sah man wegen ihrer Wurzeln und Äste als Vermittler zwischen Unterwelt und Himmel an. Auch dienten sie der allegorischen Darstellung des Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt. Deshalb wurden der Natur zu Ehren zahlreiche Fruchtbarkeitskulte veranstaltet.

Im Mittelpunkt standen dabei gewöhnlich Muttergottheiten, die als Leben spendende Kräfte verehrt wurden. Ein Hügelgrab symbolisiert, mythologisch gesehen, sowohl den „Eingang zur Unterwelt“ als auch den „Eingang zu neuem Leben“. Eine alte Taufschale und ein muldenförmiger Stein können mit Empfänglichkeit und mit der weiblichen Macht der Erneuerung in Verbindung gebracht werden.

In meinen Fotografien deute ich auf den mythologischen Zusammenhang zwischen Leben, Tod und Wiedergeburt hin. Obwohl die „Anderswelt“ einerseits tot, dunkel und erschreckend wirkt, scheint sie andererseits aber auch eine unsichtbare lebendige Kraft in sich zu tragen. Die grob behauenen, urgewaltigen Steine aus den prähistorischen Kulturen zeigen diese Kraft in ihrer archaischen Einfachheit. Die Suche nach den Spuren dieser sagenumwobenen Welt hat mir das Wunderschöne und Unersetzliche der Natur näher gebracht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen