DIE EUROPÄER HABEN LAUT GEBRÜLLT UND WENIG ERREICHT: Präsident Bush ist kein Tölpel
Wie anders war es früher: Wenn US-Präsidenten nach Europa kamen, dann demonstrierten die Regierungen große außenpolitische Einigkeit mit ihrem Gast; gleichzeitig regte sich recht massiver Protest auf der Straße. Dieser Tage, beim ersten Besuch des neuen US-Präsidenten George W. Bush, haben sich die Ressentiments nicht mehr nur draußen vor der Tür, sondern gleich in den Konferenzräumen entladen. Die europäischen Regierungen gefallen sich darin, den rückständigen Chef der einzig verbliebenen Supermacht an den Pranger zu stellen. Todesstrafe, Weltklima, Raketenabwehr – die brüskierenden Ankündigungen der Bush-Regierung schweißen die fünfzehn EU-Staaten zusammen. Es kostet die Europäer wenig, hier Einigkeit zu demonstrieren.
Nur: Das stimmt ja so alles gar nicht. Auch wenn es den Europäern gelang, in der Auseinandersetzung über das Kioto-Protokoll recht einheitlich aufzutreten: Es gibt innerhalb der EU-Staaten keinen Konsens, der tragfähig genug wäre, um einen Konflikt mit den USA dauerhaft durchzustehen. Schon bei der Raketenabwehr scheren etliche Staaten aus – Großbritannien, Spanien, Italien und die EU-Beitrittskandidaten Polen und Ungarn signalisieren, dass sie Bushs Pläne unterstützen. Der US-Präsident hat es bei seinem Besuchsprogramm recht gut verstanden, absehbare Spaltungen innerhalb der EU auszunutzen und zu vertiefen. Insbesondere die Länder Mittel- und Osteuropas, von der langen Wartezeit auf die EU-Aufnahme enttäuscht, sind nur zu gerne bereit, jenseits des Atlantiks neue Freunde zu finden. Das hat Bush, der angebliche außenpolitische Tölpel, ganz gut hinbekommen.
So geriet es zur relativ hohlen Geste, wenn die führenden westeuropäischen Regierungschefs den US-Präsidenten mit strengem Gesichtsausdruck ermahnen wollten – denn dafür fehlt die Grundlage, also eine schlüssige und kohärente Politik in Europa selbst. In den USA provoziert die Menge der Vorwürfe offene Ablehnung – und dies selbst bei manchen Meinungsmachern, die das anfangs plumpe Vorgehen ihrer neuen Regierung entsetzt wahrgenommen haben.
So gewinnen die US-amerikanischen Konservativen neue Sympathie: Es ist einfach für die Republikaner, ihrerseits die EU-Staaten, allen voran Frankreich und Deutschland, als sozialromantische Besserwisser und Heuchler zu beschimpfen. Zum Beispiel habe auch kein einziges EU-Land bisher das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz ratifiziert. Stimmt. Nicht nur in der rechten US-Presse ist daher der Verdacht vorhanden, dass der eine oder andere EU-Partner seine eigene Ablehnung von Kioto versteckt, indem er größte Empörung über die USA simuliert. Die EU-Länder gewinnen nur an Glaubwürdigkeit, wenn sie das Kioto-Protokoll schnell ratifizieren und umsetzen.
Und Glaubwürdigkeit tut not. Denn es kann zwar unterstellt werden, dass sich die Bush-Administration langsam mäßigt. Immerhin hat sie in den ersten Monaten alle wichtigen Akteure der Weltpolitik verschreckt, von China bis Russland, von Korea bis zur EU – ein sinnloser Affront, da die US-Regierung offensichtlich kein klares Ziel verfolgte. Diese Brachialauftritte werden wohl Vergangenheit sein, auch weil die Mehrheiten im Kongress sich geändert haben. Doch selbst unter einer gemäßigten Bush-Regierung gilt im Zweifel die ökologisch-ökonomische Kurzsichtigkeit als oberste Handlungsmaxime. Daher muss irgendjemand den USA Grenzen setzen.
Keine US-Regierung tritt je für Dinge ein, die sie nicht als ureigenes Interesse begreift – ob das nun den Klimaschutz, den internationalen Strafgerichtshof oder eine noch so als humanitär titulierte Militärintervention betrifft. Europa muss also Druckmechanismen entwickeln, damit die USA ihre nationalen Interessen neu definieren. Im Klartext: Es geht darum, die USA zu erpressen. Nur: Dies dürfte kaum möglich sein, wenn gleichzeitig alternativlos die finanzielle und militärische Kooperation der USA eingefordert wird.
Solange Europa hier nicht selbständiger wird, solange wird Europa wesentlich erpressbarer sein als umgekehrt die USA. Der Präsident und seine Berater ließen, bei allen Charmeoffensiven während dieses Besuches, immer wieder erkennen, dass sie das ganz genau wissen. Allzu nachdenklich gestimmt wird Bush nicht nach Washington zurückkehren. BERND PICKERT
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