: Gulag über Berlin
Die Neuwahlen und ihre voraussehbaren Folgen: Das Schreckensregime der PDS leistet ganze Arbeit
Berlin in zwei bis drei Monaten – die Welt traut ihren Augen nicht: Kaum hat die PDS die absolute Mehrheit in der Stadt errungen und Sahra Wagenknecht zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt, da wird auch schon wieder die Mauer gebaut, diesmal außen um die ganze Stadt. Sie ist dreißigmal so hoch wie ihre Vorgängerin, als Baumaterial dient der Beton, der mit der Sprengung des Kanzleramtes frei geworden ist. Im Speckgürtel der Stadt spielen sich gespenstische Szenen ab. Westberliner, die sich noch im letzten Moment Richtung Brandenburg abseilen wollen, werden von Kampfbrigaden, die für diesen Einsatz elf Jahre im Keller des Karl-Liebknecht-Hauses in Bereitschaft gehalten wurden, zurückgerissen und teilweise erschossen. Auch die Volkspolizei, wie sie nun wieder richtig heißt, macht kurzen Prozess und hat praktisch an allen Ecken der Stadt Verkehrs- und Ausweiskontrollpunkte eingerichtet. Bürger, die nicht sofort ihr linkes Ohr frei machen, werden zwangsrasiert, Zeitungen und Bücher aus dem Westen beschlagnahmt. Alles steht Kopf, es herrscht Chaos, zumal die PDS gleich am allerersten Tag ihrer Regentschaft nicht nur sämtliche Straßen Ostberlin wieder zurückbenannte, sondern auch zwei Drittel der Westberliner Straßen mit einem neuen Namen versah. Der Kurfürstendamm heißt beispielsweise jetzt Generalsekretärsdamm, die Straße des 17. Juni wurde in Straße des 13. August umbenannt. Das Schreckensregime der PDS-Kommunisten gab sogar kompletten Stadtbezirken neue Namen: Aus Neukölln wurde Ulbrichtshain, aus Dahlem wurde Fritz-Dahlem und aus dem Wedding der Rote-Wedding.
Wo man hinsieht, haben die neuen Machthaber gründliche Arbeit geleistet. Sämtliche Reklametafeln in der Stadt sind über Nacht demontiert und durch Losungen ersetzt worden, die lauten: „Alle Kraft zum Wohle des Berliner Volkes“ oder „Wir hatten nicht die Absicht, eine Mauer zu errichten!“. Neues Deutschland ist Zwangsblatt in allen Berliner Haushalten. Der neue Chefredakteur heißt Karl-Eduard von Schnitzler – nein, er hieß Karl-Eduard von Schnitzler, bis er, als Kosmopolit enttarnt, abgelöst und überraschenderweise durch Florian Illies, den Berliner Ex-FAZ-Redakteur, ersetzt wurde, dessen neues Buch „Transplantation Trabant“ soeben erschienen ist. Das Blatt berichtet täglich von neuen Verstaatlichungen großer und mittelständischer Unternehmen. Schon sind, bedingt auch durch die vollständige außenpolitische Isolation, erste Engpässe bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, beispielsweise Rosinen, aufgetreten, zwischen Pjönjang und Berlin wird eine Luftbrücke errichtet.
Die Lage in der Bevölkerung ist gespannt. Berliner Bürger, die aus Protest Kerzen in das Fenster stellen, werden in Hinterhäuser und Seitenflügel zwangsumgesiedelt. Die Bundesbehörden sind zu ihrer eigenen Sicherheit vorläufig im ehemaligen DDR-Regierungsdörfchen Wandlitz interniert, dort herrschen mittlerweile Zustände wie vor zwölf Jahren in der Deutschen Botschaft in Prag. Exaußenminister Genscher wird dort – wie sich die Ereignisse gleichen! – sehnsüchtig als Retter erwartet. Unterdessen muss Gregor Gysi, Sprecher der sozialdemokratischen Plattform, sich die nächsten zwei Jahre in der Produktion (im Berliner Backwarenkombinat) bewähren, weil man bei ihm, versteckt in einer Streichholzschachtel, Aphorismen von Peter Härtling sicherstellte. Forderungen nach Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit gelten als Bundeslandesverrat. Bürgerrechtler, die die Stadt nicht mehr verlassen konnten, sitzen in Untersuchungshaft, während auf dem Leninplatz, unter reger Anteilnahme von Pionier- und FDJ-Gruppen, eine riesige Guillotine errichtet wird. Der „Köppehobel“, wie der Berliner Volksmund die Anlage bereits getauft hat, soll demnächst den Betrieb aufnehmen. Auf dem eben zu Ende gegangenden Gründungsparteitag der SEB, zu der sich sämtliche Parteien der Stadt freiwillig zwangsvereinigt haben, verkündete ihr erster Sekretär, Günter Schabowski, das Ende der Diktatur der Demokratie. „Die Reisefreiheit“, rief er der applaudierenden Menge der Delegierten zu, „ist immer die Reisefreiheit der anderen. So soll es auch die nächsten 100 Jahre bleiben.“
Bürger der Welt – schaut auf diese Stadt! RAYK WIELAND
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen