auf augenhöhe
: Metropolenwahn

Die Antiberliner

„Bon(n)zen bleiben in Bonn!“ Mit etwas Glück kann man heute noch solche oder ähnliche Graffiti in den sanierten Straßenzügen von Prenzlauer Berg oder Friedrichshain finden. Die linksradikalen „Antiberliner“ – das Wort stammt übrigens von den CDU-Funktionären, die der Stadt eine marode Bank hinterlassen haben – haben damals mobil gemacht: gegen Hauptstadt und Olympia. Ihre Angst: Im Metropolenwahn würden die Armen an den Rand gedrängt. Auf manchem Ost-Trabbi und West-Mountain-Bike prangten denn auch Aufkleber wie „I love Bonn“. Und hätte es damals nicht diese Achtzigerjahre-Berührungsängste zwischen den Milieus gegeben – vielleicht hätten die Berliner Linksradikalen mit dem Geld der Bonner Bürger, die um ihre Jobs und den Wert ihrer Villen fürchteten, den Hauptstadtbeschluss verhindert. Schließlich schafften sie es auch, die Hälfte der Stadtbevölkerung gegen Olympia 2000 aufzubringen und den IOC-Entscheidern zu verklickern, dass sie unerwünscht sind. „The winner is Sidney“, war dann die erste große Pleite der großen Koalition, die jetzt abdanken musste.

Natülich war die Angst von einst nicht ganz unbegründet – und wer heute über den Kollwitzplatz schlendert, wo vor einiger Zeit Schröder und Bush dinierten, sieht, riecht und hört, warum. In vielen anderen City-Stadtteilen ist aber trotz Hauptstadt von „Yuppiesierung“ wenig zu spüren – im Gegenteil. Die Wohlhabenden sind längst ins Grüne gezogen, eine soziale Brache mit Schnäppchenmärkten und Dönerbuden, die sich eine gnadenlose Dumpingkonkurrenz liefern, hinterlassend. Die Exaktivisten, die nicht in die schicken Ostbezirke gezogen sind, können es genießen: nirgendo sind die Preise für Döneressen oder Haareschneiden so niedrig wie in Kreuzberg oder Neukölln.

Die Exaktivisten profitieren sogar vom „Verrat“ der PDS. Denn hätte die 1991 gegen Berlin als Hauptstadt gestimmt, Berlin wäre heute nicht das Armenhaus des Landes, sondern ein riesiger Slum. Rein realökonomisch betrachtet: Berlin wäre ohne den Hauptstadthype sofort Bankrott gegangen – so gibt es zwar kaum Industrie, aber ein paar neue Jobs in der Medien-, Internet- oder Callcenterbranche. Hier tummeln sich alte und neue Aktivisten. Mal abgesehen davon, dass auch Taxifahrer, Kneipiers und DJs auf zahlungskräftige Kundschaft angewiesen sind.

Da trifft es sich, dass die Schlachten von gestern heute keiner mehr schlagen muss. Berlin ist so groß, dass niemand auf der Straße merkt, ob gerade Sitzungswochen im Reichstag sind. Und wer zufällig einen der gefürchteten „Bonner Bonzen“ trifft, kann sich – etwas kriminelle Energie vorausgesetzt – freuen wie über einen Lottogewinn. Ansonsten sind selbst die Großdemos in der City in den meisten Stadtteilen nicht zu spüren. Es sei denn, sie heißen CSD oder Love Parade. Dann legen hippe DJs Seeed, die „Berliner Jungs auf Abwegen“, auf, die im Dancehall-Style singen: „Coolnessmäßig platzt die Stadt aus allen Nähten, die Massen sind jetzt da, es hat sie niemand drum gebeten.“ Die Bonner sind damit wohl nicht gemeint. RICHARD ROTHER