Blut im Objektiv

Duell der Maniacs: „Shadow of the Vampire“ von Elias Merhige entdeckt die Vampire hinter dem Vampirfilm

Das Erste, was man in „Shadow of the Vampire“ sieht, ist die Iris von John Malkovich bzw. Friedrich Wilhelm Murnau – in Großaufnahme. Im Gegenschnitt dann das Kamera-Auge, wie es das Setting seinen Bedingungen unterwirft: der mechanische Wahrnehmungsapparat bei der Realitätsproduktion. Es sind diese beiden Positionen, zwischen denen der Film pendeln wird. Der machtvolle Blick der Bilderapparatur, dieses phallokratische Etwas, das die Begehren seines Maschinisten und Impressarios rücksichtslos reproduziert und die Wahrnehmungsmuster konditioniert; dagegen das menschliche Auge, ohne technischen Schutzpanzer diesem Begehren hilflos ausgeliefert, gleichzeitig immer noch dem naiven Glauben an die Binarität des Sehens verhaftet.

Die Grenze zwischen Fiktion und Realität ist porös geworden, seit die Kamera begonnen hat, das Sehen zu imitieren. Das alles hat man selbstverständlich schon um einiges elementarer und differenzierter erzählt bekommen, aber mit Sicherheit noch nie so maniriert und campy wie in Elias Merhiges „Shadow of the Vampire“, der im Jahr 1921 spielt, während der Dreharbeiten zu Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“. Merhige hat einen lehrreichen Brocken verbürgter Filmgeschichte um einige fantastische Spekulationen angereichert: Murnau wird zum durchgeknallten Maniker, sein Hauptdarsteller Max Schreck (Willem Dafoe) zum enigmatischen Schattenwesen. Was wäre, wenn Murnau in seinem Authentizitätswahn tatsächlich einen echten Vampir gecastet hätte? Im Film entpuppt sich das Genie als größenwahnsinniger Tyrann, dessen Ränkespiele wie eine Allegorie auf die Zustände in der Weimarer Republik scheinen. Sowohl Murnau als auch Orlock sind korrupte Existenzen, die ihren Machtkampf rücksichtslos auf dem Rücken der Filmcrew austragen. Beide steigern sich in die Rolle des kaltblütigen Taktikers, der nur darauf wartet, dem anderen in den Rücken zu fallen, und der Set wird zur Bühne zweier Vollblutexzentriker.

Merhige adaptiert in „Shadow of the Vampire auch den ängstlichen-naiven Blick des Theaters auf das damals neue Medium. Am Anfang beklagt sich die Theaterdiva Greta Schröder bei Murnau, dass ihr die Kamera die Lebensenergie aussauge. Ihr fehle die Nähe des Publikums, von dem sie im Theater zehre. Murnau entgegnet, dass sie diese Rolle einfach als ihr Opfer für die Kunst betrachten sollte. Der filmische Apparat als Vampir und Murnau, nicht Nosferatu – als Vollstrecker dieses Entemotionalisierungsprozesses. Fasziniert kann man beobachten, wie obsessiv in „Shadow of the Vampire“ die Welt in das Kamera-Objekt gepresst wird; in dieser Absolutisierung des Blickes offenbart sich auch der ganze Wahnsinn, den Malkovich als geniales Künstlersubjekt Murnau (auch so ein überholtes Modell: der Filmemacher als Wissenschafter bei der Erschaffung eines kollektiven Gedächtnisses) übersteigert: „If it’s not in the frame, it doesn’t exist.“ Aus diesem Wahn kann ihn nur noch die Schlussklappe befreien, nachdem Max Schreck in der legendären Schlusseinstellung von „Nosferatu“ alle Mitwirkenden entkörperlicht hat. Die Kamera hatte sie schon vorher zu Schatten ihrer selbst gemacht.

ANDREAS BUSCHE

„Shadow of the Vampire“. Regie: E. Elias Merhige. Mit: John Malkovich, Willem Dafoe u. a. USA 2000, 95 Min.