: Wenn das Stachelmonster kommt
Horror light: Stefanie Ressins Musikperformance „Schön Haut Monster“ beim Junge-Hunde-Festival auf Kampnagel beschäftigt sich mit dem Alter, mit gefakten Inszenierungen und Horrorfantasien ■ Von Karin Liebe
Graue Haare, Falten, der Gang schon leicht tattrig: Die zwei Herren auf der Bühne, die durchs Programm führen, erfüllen alle Kriterien des Alters. Im Fernsehen wären Peter Petersen und C. A. Richter schon vor mindestens zwanzig Jahren als Moderatoren vom Bildschirm verschwunden. Höchstens als Talkshowgäste wären sie noch zum Thema „Blaseninkontinenz“ oder „Sex ab Siebzig“ gefragt. Was haben die Oldies beim Nachwuchsfestival Junge Hunde auf Kampnagel zu suchen?
Hier sind sie die Stars des Abends. Stefanie Ressin, Komponistin und Performancekünstlerin, hat in ihrer Performance Schön Haut Monster zwei Themen miteinander verknüpft, die auf den ers-ten Blick wenig miteinander zu tun haben: Altern und Monster. Im Mittelpunkt der Monstershow stehen Interviews mit alten Frauen zu deren persönlichen Monsterphantasien, die per Leinwand eingeblendet werden. Wie sieht Ihr schlimmstes Monster aus? Ist es so groß wie ein Elefant oder klein? Lebt es in Rudeln oder allein? Greift es nur an oder ist es auch scheu? Auch die Zuschauer werden vor dem Einlass gebeten, ihre Horrorphantasien auf nummerierte Zettel zu schreiben.
Wenn während der Vorstellung die Verfasser von Nummer 6 oder 100 auf die Bühne gebeten werden, wird allerdings schnell klar, dass die vermeintliche Publikumsbeteiligung nicht echt ist. Viel zu geschliffen sind die Szenarien formuliert, viel zu entspannt sitzen die angeblichen Zuschauer dabei auf dem Sofa und schlürfen Beuteltee. Alles Fake, alles Show. Die vermeintliche Authentizität entpuppt sich als Lüge – wie wir das aus jeder x-beliebigen Fernsehshow kennen.
Diese Mechanismen wieder einmal offen zu legen, ist das eigentlich Spannende an Ressins Mons-tershow. Es ist aber auch das Enttäuschende, weil sie letztlich nicht darüber hinausgeht: Wie bei jeder x-beliebigen Fernsehshow wird auch hier alles nur an der Oberfläche angeritzt: der Schönheitswahn, die Angst vorm Altern, die Verdrängung alles Nicht-Glatten in eine fiktive Horrorwelt. In nett-betulicher Art à la Alfred Biolek lesen Peter Petersen und C. A. Richter die Fragen ins Mikro, als wären ihre betagten Interviewpartnerinnen live dabei. Die antworten immer ein bisschen zeitverzögert. Ja, also mit Stacheln. Ja, so groß wie ein halbwüchsiger Elefant.
Rührend, wie ernsthaft eine alte Dame in sich geht und ihr scheues Stachelmonster ganz langsam hinausbefördert. Lustig, wie eine andere vehement behauptet, sie würde sich nie Horrorfilme angucken. Und wie sie dann nach und nach zugibt, dass sie eine ganze Menge davon, und zwar mit einiger Grusellust, gesehen hat.
Ehrlich und echt wirken diese Statements – aber nur auf den ersten Blick. Ein auch schon angejahrter Schönheitschirurg antwortet auf nicht hörbare Fragen, die letzte Interviewte erscheint ganz ohne Ton auf der Leinwand. Sie ist bloß noch verschwommene Kulisse für die Moderatoren, die sich live beim Monster-Spielen vergnügen. Parallel zu einem Godzillafilm auf dem Fernsehbildschirm simuliert der eine King Kong mit fuchtelnden Affenarmen, der andere den fauchenden Godzilla. Oder der eine spielt Vampir und beißt den anderen in den Hals. Und das Kunstblut leuchtet rot auf ihren weißen Hemden.
Das ist teils lustig, teils auch erschreckend, weil die beiden Alten den Monstern auf dem Bildschirm erstaunlich gleichen – ganz ohne Kostüm und Schminke, einfach weil ihre Haut ähnlich schrumplig ist und sie sich genauso steif bewegen. Doch der subtile Schrecken kommt insgesamt viel zu kurz, kaum etwas geht wirklich unter die Haut bei Schön Haut Monster. Eine Taste mit Schnellvorlauf hätte man sich bei den viel zu langen sperrig-gruftigen Musikeinlagen mit Stefanie Ressin und Richard von der Schulenburg an den Synthesizern sowie einem siebenköpfigen Monsterchor gewünscht.
heute, 20 Uhr, Kampnagel k2
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