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Heimat ist, wo der Kühlschrank steht

The Great World Music Swindle: Die 3Mustapha3 nahmen Balkan-Boom und Alles-geht-Trend vorweg. Mit ihrer Maskerade dekonstruierten sie den Authentizitätsmythos der Weltmusik. Ein Album mit Live-Aufnahmen erinnert an die Legende(n)

von CHRISTIAN BECK

Christoph „Akbar“ Borkowski, der später das Berliner Weltmusik-Sommerfestival „Heimatklänge“ aus der Taufe hob, fuhr den Tourbus damals – aber das ist eine andere Geschichte. „Ich erinnere mich, wie wir 1985 irgendwo in Holland saßen und alle total aufgedreht waren“, blickt 3Mustapha3-Bassist Sabah Habas Mustapha, der sich heute der indonesischen Dangdut-Musik verschrieben hat und unter seinem bürgerlichen Namen Colin Bass als Moderator beim Berliner Radio Multikulti in Erscheinung tritt, zurück auf die Zeit, als er und seine Freunde mit diesen komischen Zweitidentitäten durch die Lande zogen: Hijaz Mustapha, Houzam Mustapha, Niaveti Mustapha, Uncle Patrel Bin Mustapha und wie sie alle hießen, die später ein und aus gingen in der Familie.

Der Onkel und die Neffen

„Wir hatten gerade ein tolles Konzert gespielt und saßen nun backstage, wo wir, wie so oft, unsere Mustapha-Personalitys weiterspannen. Ich schaute zu Lu alias Uncle Patrel, der gerade total Uncle war. Plötzlich machte er: ,Oh! Oohh!‘ Er verschwindet – schhhhh – Gott, er ist weg. Und dann war er wieder ganz Lu“, berichtet Sabah Habas. „Ich werde mich immer daran erinnern, weil mir dabei klar wurde, dass man auf jeden Fall lernen muss, wie man dieses Ding wieder loslässt, weil – sonst kann es am Ende wirklich schräg werden.“ Lu war wieder Lu, also: Lu Edmonds, einst Gründungsmitglied von The Damned, und im Universum der 3Mustapha3 zuständig für die Rolle des weisen Uncle Patrel, der die Leitung des Clans übernommen hatte.

Wie sich das Spiel mit den Identitäten für Außenstehende, wie der Journalist einer ist, darstellte, war wiederum eine ganz andere Nummer, wenn auch ähnlich verwirrend: Im Herbst 1990, beim Interview mit Ben Mandelson alias Hijaz Mustapha, beim „Crazy Loquat Club“ im alten Tempodrom, im Berliner Tiergarten. Bei Mandelson, der heute bei Billy Bragg und seinen Blokes für die exotischen Saiteninstrumente zuständig ist, ist nichts zu machen: Er denkt im Traum nicht daran, auf „Mr. Mandelson“ als Anrede auch nur zu reagieren – er ist Hijaz Mustapha, mit Haut und Haar, seine Band kommt vom Balkan, genauer aus Szegerely, und wo dies exakt liegt, bleibt sein Geheimnis, wie so einiges anderes auch.

Am Ende raucht dem Journalisten der Kopf – nicht nur vor all den verwirrenden Geschichten, sondern auch vor der Eisenhärte und Unnahbarkeit, mit der der Gründer und Chef der Kapelle den Außenstehenden zwischen Vergnügen und Unsicherheit, Einschüchterung und Ermunterung zum Weiterspinnen der dichter und immer dichter gewebten Erzählfäden animierte. Einschüchterung mag eine Rolle gespielt haben bei der Gefügigkeit, mit der sich die Medien, vor allem die Presse, in das virtuose Spiel der Mustaphas auf der Medienklaviatur integrieren ließ und sich deren Strategie zwischen Camouflage und Verführung beugte. Wichtiger aber war vermutlich die Lust am Mitfabulieren. Und natürlich die wilde Kapelle selbst: Den 3Mustapha3 gelang einer der Höhepunkte der Legendenbildung in der Geschichte des Pop. Aus Vorbildern wie den Marx Brothers und den Ramones zimmerten sie sich ihr Image.

Shangri-La des Balkan

In den Worten von Sabah Habas Mustapha: „Das waren alles weit gehend improvisierte Ideen und Bilder einer Familie, die in einer entlegenen Stadt, einer entlegenen Bergregion aufwuchs, in die Uncle Patrel eines Tages ein Radio mitbrachte, mit dem man Sender aus aller Welt empfangen konnte – weil Funkfrequenzen international sind. Wir waren fasziniert von diesem Radio, weil wir damit all diese unterschiedlichen Arten von Musik hören könnten: die ‚Voice of America‘ mit ihrer Country Music eingeschlossen, aber auch bulgarischen und ägyptischen Gesang, indische Filmmusik, all solche Dinge. Parallel dazu gab es die Geschichte, dass wir im lokalen Crazy Loquat Club spielten, der an einer der wichtigsten Handelskreuzungen der Gegend lag. Also schauten Fernfahrer von überall her rein, hörten der Band zu, tauschten Kassetten aus aller Herren Länder und wünschten sich Stücke aus ihrer Gegend von der Band – weswegen sie der Legende zufolge ihr Repertoire aus Stücken aus aller Welt aus einem ganz einfachen Grund lernte: einfach, um ihrem Publikum internationaler Fernfahrer zu Gefallen zu sein.“

So und ähnlich nahm die Legende ihren Lauf, in unzähligen Artikeln und Radiosendungen, und gleichzeitig die Geschichte von den Mustapha-Neffen, die sich einer anderen Quelle zufolge 3Mustapha3 genannt haben sollen, weil sie nicht weiter als bis 3 zählen konnten. Wobei offensichtlich schon diese beiden Grundkomponenten – Szegerely als Shangri-La des Balkan und die Familie als Keimzelle der Band – völlig ausreichend waren: Die Medien jedenfalls stiegen darauf ein wie wild, verstanden hier etwas falsch, brachten da etwas durcheinander, spannen die Geschichte dort aber auch mal so kongenial weiter, dass die Herren Mustapha sich mitunter nur selbst wundern konnten – und natürlich freuen.

Nehmen wir den berühmten Kühlschrank, der wann immer möglich, das Mustapha-Bühnenbild zierte: Hatte ihn nach der einen Quelle der alte Oberonkel der vorigen Generation von seinen Jahren im Westen mit nach Hause gebracht, so stand er an anderer Stelle für die Schmuggelware auf den Balkan, mit der die Musikanten, bevor sie die Kapelle gegründet hatten, erste Geschäfte gemacht hatten; wieder ein anderes Mal sollen sie sich gar selbst in Kühlschränken ausser Landes geschmuggelt haben.

Dass es sich bei dem zentralen Objekt der Bandgeschichte um einen Kühlschrank handelte, machte eines allerdings sofort unmissverständlich klar: Ganz so ernst gemeint konnte das alles natürlich nicht sein! So waren die Herren Mustapha denn auch mehr als erfreut über den Kommentar, den sie sich einmal beim Videodreh in Liverpool einhandelten: Da schritten sie, mitten in Liverpool, der Reihe nach mit ihren orientalisch angehauchten Anzügen und den Hemden mit den breiten Krägen aus einem Reihenhaus – was den türkischen Nachbarn, der die Szene zufällig, aber amüsiert verfolgte, zu der lakonischen Bemerkung verleitete: „They would never believe it without the moustache!“

Suppe des Jahrhunderts

Ohne die Schnurrbärte hätten sie es nie geglaubt? Gott sei Dank: War durch und durch ernsthafte musikethnologische Leidenschaft die eine Hälfte des Motivs, so war ihre ironische Brechung die andere. Aus der resultierenden Spannung bezog die Geschichte der Mustaphas ihre Kraft. Ihre Maskerade, ihr gewitztes Spiel mit Identitäten und Images, führte den Authentizitätsmythos der Weltmusik ad absurdum, noch bevor diese zum großen Sprung in die Charts angesetzt hatte. Und ihre „Soup of the Century“, so ein Albumtitel Anfang der Achtziger, wurde neben der österreichischen „Melange“ zum allgemeingültigen Bild für den Crossover-Charakter der Popmusik, wie wir sie heute kennen: sich überall einfach zu nehmen an Musikelementen, was einem gerade in den Kram passt. Was die 3Mustapha3 wenn nicht erfunden, so doch populär gemacht hatten, wurde das bestimmende Stilmerkmal der Neunzigerjahre.

Zurück zum geliebten Kühlschrank: Auf der Bühne erfüllte das Küchenmöbel nicht zuletzt die Funktion, die Folie für eine blitzsaubere James-Brown-Hommage abzugeben. Alle Stile der Welt sollten’s sein, also auch der Soul und der Funk. „Shall we take ’em to the frrridge?“, kann man Ben „Hijaz Mustapha“ Mandelson in gebrochenem Balkan-Englisch nun noch einmal, wie damals, auf „Play Musty For Me“ vernehmen. Das postum editierte Live-Album versammelt bisher unveröffentlichte Konzertaufnahmen aus der großen Zeit der 3Mustapha3. Zwischen all der griechischen Folklore, in indonesischen Klangfarben arrangierten Schlagern und immer wieder Balkan-Folk, -Jazz, -Rock, und -Pop erklingt laut und deutlich der Ruf: „Take ’em to the frrridge? / Shall we take ’em to the frrridge? / Are you ready for the frrridge?“

Bereit für die Welt

Ja, die westliche Welt war bereit gewesen für Uncle Patrel und seinen Frrridge in den Achtzigern. Sie war bereit gewesen für die Stile der Welt, und sie war bereit gewesen für die Weltmusik, die 3Mustapha3 mit einigen wenigen anderen Ensembles wie Embryo und den Dissidenten aus deutschen Landen daraus zusammengebraut hatten.

So glatt gar ging der Welt die Mustapha-Geschichte hinunter, dass die Nachahmer wie Pilze aus dem Boden schossen – wenn auch nicht alle so plump wie die 4Abdullahs2, angeblich aus Andorra, die schon 1987 in Recklinghausen den Kühlschrank plünderten.

Die Legende hatte sich da schon längst verselbstständigt. Am Ende musste sich selbst Colin Bass alias Sabah Habas Mustapha dabei ertappen, wie er dem eigenen Balkan-Mythos auf den Leim zu gehen drohte: Beim Zusammenstellen von „Play Musty for me“ geriet er fast mit Cousin Hijaz über Kreuz. Er hätte gerne die 20-Minuten-Version ihrer griechischen Nummer „Hasapiko grigoro“ auf dem Album gehabt, doch Hijaz Mustapha favoirsierte die in Djakarta aufgenommene Afro-Dangdut-Version des alten nigerianischen Hits „Nylon Dress“. „Er wollte nicht so streng auf den Balkan festgelegt sein, sondern auch an unsere Afrika- und Südostasien-Komponenten erinnern“, erklärt Sabah Mustapha und räumt rückblickend ein: „Er hat natürlich Recht gehabt.“

Wie immer? Kann sein. Aber das ist nun wieder eine ganz andere Geschichte.

3Mustapha3: „Play Musty For Me“ erscheint bei Kartini Music. Sabah Habas Mustapha und sein indonesisches Projekt, die Jugala Allstars, spielen am 5. 7. in Berlin, 7. 7. in Rudolstadt und 8. 7. in Potsdam

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