Radkuriere im Untergrund

Die 11. „Cologne Conference“ des Adolf-Grimme-Instituts präsentiert seit gestern das Fernsehen von morgen. Doch die Freude der deutschen Sender an internationalen TV-Perlen nimmt weiterhin ab

Natürlich werden auch in diesem Jahr Puristen wieder ihre Nasen rümpfen und dem Internationalen Fernsehfest Einseitigkeit vorwerfen. Denn natürlich blickt die gestern in Köln gestartete „Cologne Conference“ zunächst mal auf die Insel und über den großen Teich. Großbritannien und die USA sind die internationalen TV-Leitmärkte, wirtschaftlich wie inhaltlich – und gerade auch für Deutschland.

Dieser Sinn für die tatsächlichen Verhältnisse der Fernsehwelt macht die seit 1990 jährlich kurz vor dem Medienforum NRW zelebrierte Veranstaltung so wertvoll: Die Beweihräucherung der selbstverliebten Branche beschränkt sich auf das absolut nötige Mindestmaß. Und sogar das Publikum ist echt – am Festivalwochende findet in den Kölner Rheinterrassen jeder gegen kleines Geld Einlass.

Dass die Cologne Conference mit ihrer an populärer Qualität orientierten Auswahl generell im Mainstream liegt, ist Programm. „Twin Preaks“, „Emergency Room“, „South Park“, „Futurama“ – all diese TV-Entdeckungen liefen zuerst beim Fernsehfest. Und so kann man auch in diesem Jahr vorab den Blick auf Originale wagen, die uns irgendwann als synchronisierte Bastarde von deutschen Bildschirmen entgegenflimmern. Wobei die dazwischenliegenden Karenzzeiten immer länger zu werden scheinen: „Sex in the City“, jene 1999 bei der Cologne Conference präsentierte US-Sitcom um die Sexkolumnistin Carrie, nimmt ProSieben erst im Herbst ins Programm. Seit der Euphorie über den unerwarteten Erfolg der britischen Krimiserie „Cracker“ – vorgestellt beim Fernsehfest 1996 und hierzulande als „Für alle Fälle Fitz“ gerade in der x-ten Wiederholung auf 3sat zu sehen – hat die kurz aufgeflammte Bereitschaft deutscher Sender zum gezielten Blick über den Tellerrand offenbar wieder nachgelassen.

Einigen Programme des diesjährigen Festivals ist der deutsche Sendeplatz dagegen sicher: James Camerons („Terminator“, „Titanic“) TV-Debüt „Dark Angel“ zum Beispiel: Genmanipulierter Übermensch-Prototyp ist der Wissenschaft entkommen und lebt als Fahrradkurier im Untergrund von morgen. Oder „Boston Public“, die neue Serie von „Ally McBeal“-Erfinder David E. Kelley: Sozial benachteiligte Brut macht dem Lehrkörper einer gar nicht schicken Schule das Leben zur Hölle.

Beide sind schon jetzt an hiesige Sender (Vox bzw. RTL) verkauft, viele der anderen 18 Festivalbeiträge werden es dagegen wie üblich gar nicht – oder erst mit drastischer Verspätung ins Nachtprogramm des deutschen Fernsehens schaffen.

Die Cologne Conference (nähere Informationen zu Programm und Veranstaltungsort: www.cologne-conference.de) ist übrigens eine Veranstaltung des Adolf-Grimme-Instituts, das sich im Rahmen des diesjährigen Medienforums ein ganz neues Feld erschließt: Die „Heimat“ des noch immer renommiertesten deutschen Fernsehpreises verleiht heute Abend in Köln zum ersten Mal die Grimme Online Awards (www.grimme-online-award.de). Nominiert sind insgesamt 20 Web-Auftritte, von „Wer wird Millionär“ (RTL), der „Sendung mit der Maus“ (ARD) und „Was guckst Du?!“ (Sat.1) bis zur„Kulturzeit“ (3sat) und „giga.de“ (NBC/giga).

Dass man bei so viel Entwicklung nach vorn trotzdem noch immer beim Medieninstitut des Deutschen Volkshochschulverbandes ist, ist dennoch beruhigend: Die TV-Sites heißen im Statut des Grimme Online Awards ganz züchtig „Komplementärangebote zum Fernsehprogramm“.

STEFFEN GRIMBERG