Bildet Chöre!

■ Bei der „Nacht der Chöre“ zeigten sich Bremer KirchenmusikerInnen putzmunter

„Gleich noch einmal“: Achthundert Zettelchen mit einem rhythmisch recht komplizierten Kanon waren in der restlos überfüllten Kirche Unser Lieben Frauen verteilt, und alle sangen mit – so begeistert, dass man sich die absterbenden sonntäglichen Gemeindegesänge in zahlreichen Gottesdiensten kaum vorstellen kann. Der Leiter des Knabenchores Unser Lieben Frauen und Landeskirchenmusikdirektor Ansgar Müller-Nanninga hatte Erfolg mit seiner Animation, ebenso Christine Bormann mit dem Gospel „Halleluja“: „Aufstehen, damit der Rhythmus in die Füße kommt!“

Zum dritten Mal veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft bremischer KirchenmusikerInnen am Freitagabend die „Nacht der Chöre“. Von 18 bis weit nach 24 Uhr traten 24 Kantoreien mit zwanzigminütigen Programmen auf. Das war straff organisiert und klappte hervorragend: Während die einen am Altar sangen, stellten sich die anderen jeweils gegenüber auf der Empore auf – und umgekehrt. Und dazu wuselte bei freiem Eintritt ein unaufdringliches Kommen und Gehen ohne jede Störung.

Natürlich gab's von den so genannten A-Chören über die liturgisch orientierten kleineren Kirchenchöre bis hin zu den echten HobbymeisterInnen riesige qualitative Unterschiede, aber darum ging es gar nicht. Es ging darum, sich zu treffen, zu hören, was die anderen machen, neugierig zu sein, was man vielleicht als nächstes singen könnte. Es entstand ein bunter Beweis, dass die Laienchöre Bremens, von denen es insgesamt über 200 gibt, ein beachtliches Feld kultureller Hochkultur und kultureller Breitenkultur abdecken.

Alles, was ich an Wortfetzen aufschnappen konnte, war echtes Fan-Tum: „Ich bin seit sechs Uhr hier, ich kann gar nicht genug kriegen“, meinte meine Nachbarin. Und es war auch nicht schlimm, dass solche Hits wie Felix Mendelssohn Bartholdys „Jauchzet dem Herrn alle Welt“ gleich dreimal gesungen wurden, denn: „Das erkenn' ich gar nicht wieder, wir singen das ganz anders!“. Wo kann man solche aufschlussreichen Erfahrungen machen außer in einer „Nacht der Chöre“?

Moderator Hans Peter Raiss sagte wegen der immer neu strömenden Menschenmassen immer wieder von neuem an, dass das Publikum zwischen den Gesängen nicht klatschen sollte, was eine Frau in meiner Nähe ganz wütend machte. Gleichwohl haben alle Chöre diese Auftritte höchst ernst genommen und waren hervorragend vorbereitet. Und alle haben sich Mühe gegeben, in 20 Minuten eine programmatische Konzeption abzubilden.

Und tatsächlich vermittelt ein solch sozial-künstlerisches Ereignis vielleicht etwas anderes als ein „strenges“ Konzert. Vielleicht ist noch etwas da von dem, was am Anfang des 19. Jahrhunderts der Pädagoge Hans Georg Nägeli inbezug auf den Chorgesang sagte – sogar mit der Vision eines vereinten Europa: „Erst da beginnt das Zeitalter der Musik, wo nicht bloß Repräsentanten die höhere Kunst ausüben – wo die höhere Kunst zum Gemeingut des Volkes, der Nation, ja der ganzen europäischen Zeitgenossenschaft geworden. Das ist nur möglich durch die Beförderung des Chorgsanges.“

Ute Schalz-Laurenze