Nachrichtenmann als Prince of the People

Österreich trauert um Robert Hochner, und selbst die Freiheitlichen belästigen den Verstummten mit warmen Worten

WIEN taz ■ Der Drehstuhl, auf dem eben noch die weinende Moderatorin gesessen hatte, rotierte ein paarmal um die eigene Achse, so wie Drehstühle das zu tun pflegen, wenn man sich mit Schwung aus ihnen erhebt. Auf dem verwaisten Pult lag eine weiße Rose, und im Hintergrund lächelt das Standbild des Verstorbenen, der so noch einmal einen Blick auf seinen Arbeitsplatz warf. Ein paar hunderttausende haben wohl mitgeweint.

So verabschiedete sich die „Zeit im Bild 2“, Österreichs Pendant zu den „Tagesthemen“, am vergangenen Dienstag von ihrem „Anchorman“ Robert Hochner, 55, der eine Woche zuvor an Krebs verstorben war. Der Bundespräsident hatte sich erschüttert, der Kanzler bewegt, die Opposition betroffen gezeigt, und sogar die Freiheitlichen belästigten den Verstummten mit warmen Worten. Schließlich war Robert Hochner nicht nur für die „Zeit“ der „souveränste TV-Moderator und Nachrichtenmann im deutschsprachigen Raum“. Dennoch sind die Auswirkungen, die der Tod Robert Hochners auf den Emotionshaushalt des Landes hat, erstaunlich und erinnern ein bisschen an das Ende von Diana: der Anchorman als „Prince of the People“. Und wie bei der Prinzessin of Wales sagt uns die Trauer mindestens ebenso viel über die Trauernden wie über den zu Betrauernden.

Im Stephansdom in der City drängten sich die Massen zum Trauergottesdienst, und nicht irgendwer sprach das Hochamt, sondern der Alt-Erzbischof Kardinal Franz König, der, weit über 90 Jahre alt, nur mehr in besonderen Fällen in der Öffentlichkeit auftritt. „Er wird nicht nur mir fehlen“, beklagte der Kardinal, „nie wieder wird er zu uns sprechen“, ja sogar von der großen „Gemeinde“ des Dahingeschiedenen war die Rede, von der „Fernsehgemeinde“.

Der Bildschirmmann Hochner war der personifizierte antiautoritäre Charakter. In einem Land, in dem jeder Krankenkassenfunktionär mit „Herr Präsident“ angeredet wird, hat er Honoratioren freche Fragen gestellt. Wenn Hochner live die Autoritäten quälte, und sei es bloß mit seinem Distanz markierenden Lächeln, dann musste man selbst die Subjektposition nicht einnehmen. Dabei taugte er als Identifikationsfigur für breite Schichten, weil er schlussendlich ja doch in Maßen rebellierte. Weder warf er Steine, noch schrieb er feurige Leitartikel, er fragte einfach, und das immer höflich. Er war ein Etablierter, unter diesen aber ein Außenseiter.

Dass er am Ende zur moralischen Autorität wurde, zeigt, wie sehr das Land seine Mitte verloren hat. Es fehlt an Personen, die irgendeine Form von Identifikation ermöglichen. Der Kanzler – ein politischer Windbeutel, der das Land spaltete, um an die Macht zu kommen; der Bundespräsident, ein eitler Gockel, ansonsten von trostloser Gestalt. Die Art des Gedenkens an den „Mister Courage“ erklärt sich teils auch ganz folgerichtig aus den aktuellen politischen Verwerfungen, versucht die regierende Rechtskoalition doch mit Nachdruck, sich den öffentlich-rechtlichen ORF gefügig zu machen. In all den Nachrufen klingt an, dass die Koalitionäre es ein wenig schwerer hätten – hätte Robert Hochner nicht Darmkrebs bekommen: Da wird er zu einem Versprechen, das er nicht mehr halten kann. Paradox ist schließlich, dass die posthum publizierten „Vermächtnisse“ des Toten nun zu mehr als bloßer Meinung, zu einer Offenbarung werden; jedes Wort gerät zum Ratschluss, Kritik zum Verdikt. Mit wachsender Panik wohl erwartet die politische Klasse das Erscheinen der nächsten Ausgabe des Falter. Da will das Wiener Stadtmagazin Hochners nachgelassene Worte zur aktuellen politischen Lage veröffentlichen.

ROBERT MISIK