: „Jetzt droht das System zu kippen“
■ Die jüngsten Sparvorlagen des Kultursenators
„Anstoss“, die Initiative für Bremer Kultur hatte gerufen, und alle waren gekommen. Selten sind derart viele Kulturverantwortliche Bremens auf einem Haufen zusammen, doch die gemeinsame treibt sie wieder um: Das öffentliche Sparen.
Was Kultursenator Schulte den InstitutsleiterInnen jüngst bei einer internen Besprechung eröffnete, löst größte Sorge aus: 2002 wird die Kultur um 4,3 Prozent gekürzt, im darauffolgenden Jahr nochmal um 6,6 Prozent. Dazu kommen „Nicht gewährte Tarifsteigerungen“ (die Behörde geht von etwa zwei Prozent aus) und die ebenfalls nicht berücksichtigte Inflationsrate.
Für die Volkshochschule beispielsweise bedeute dies einen Verlust von fast einer halben Million Mark, sagte deren Leiterin Barbara Löhr.
Bei der Stadtbibliothek sind es 2002 rund 800.000 Mark, im Jahr darauf dann 1,2 Millionen. Leiter: „Das bedeutet die Schließung von zwei Zweigstellen.“ Anders gerechnet: Der gesamte Bereich Schul- und Jugendbibliotheken muss geschlossen werden.
Focke-Direktor Jörn Christiansen machte am Beispiel seines Hauses deutlich, wo die Einrichtungen außerdem noch in Druck geraten: „Die Bauunterhaltung ist uns massiv gekürzt worden, ganz abgesehen von 60.000 Mark, die bei der Pflege unserer Außenanlagen eingespart worden sind. Und unser Personal rekrutiert sich zur Hälfte aus dem zweiten Arbeitsmarkt.“ Das Focke-Museum sieht sich derzeit außerstande, einen Wirtschaftsplan zu beschließen – wozu es gesetzlich verpflichtet ist. Ein juristisches Dilemma.
Auch Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath sprach über Juristisches: „Meine Kaufleute im Vorstand wollen ihre Klage gegen den Senat von vor drei Jahren wieder aktivieren – den die Zustände haben sich entgegen der Versprechungen keineswegs gebessert.“
Auch beim Focke-Museum, das eine Stiftung öffentlichen Rechts ist, wäre so eine Klage angebracht, meinte die Runde. Kleiner Haken dabei: Der Stiftungsratsvorsitzemde ist der Kultursenator selbst, der wohl kaum gegen sich selbst vorgehen wird.
Ebenfalls in der Kritik: Die „Kulturmarketing Gesellschaft Bremen“ (kmb). Die belaste ihrerseits den Kulturhaushalt – denn deren Stellen, die zunächst vom Finanzsenator vorfinanziert worden waren, muss jetzt die Kultur tragen. Direktor Thomas Deecke vom Museum Neue Weserburg beklagte den Verlust an kompetenten Ansprechpartnern in der Kulturverwaltung: „Während die kmb personell aufgestockt wird, verliert die Verwaltung immer mehr Stellen.“ Dabei sei es angesichts der häufigen SenatorInnenwechsel im Kulturressort umso wichtiger, wenigstens auf Verwaltungsebene kontinuierliche Ansprechpartner zu haben: „Wir brauchen eine starke Fachverwaltung.“
Stellenzuwächse bei der kmb, Stellenabbau im Philharmonischen Staatsorchester. Von den 99 Planstellen eines A-Orchesters existieren nur noch 73,5 Stellen, wie. Bei der derzeitigen Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor sei es sehr schwer, den verbliebenen „Ochester-Torso“ an einen kompetenten Mann zu bringen. Außerdem unhaltbar: Das Staatsorchester verfügt nur über eine halbe Geschäftsführungsstelle, alle darüber hinausgehenden Organisationsarbeiten (also der allergrößte Teil) wie Öffentlichkeitsarbeit und Probenpläne schreiben müssen die MusikerInnen extra leisten. Orchster andernorts in vergleichbarer Größe – etwa Bochum – hätten dafür elf Planstellen besetzt, wie Florian Baumann vom Orchestervorstand berichtete. „Wir werden zur Unprofessionalität gezwungen“, resümierte Intendant Klaus Pierwoß. „Wenn das Orchester ständig mit Aushilfen arbeiten muss, ist kein wirklicher Arbeitsprozess gewährleistet.“
Deutlich wurde: Die Kultureinrichtungen sparen bereits, wo sie können. Die Volkshochschule etwa habe bereits eine Kostendeckung von 50 Prozent – bundesweit liege er nur bei 30 Prozent, sagte Barbara Löhr. „Wenn die Schraube jetzt noch weiter angezogen wird, kippt das Ganze um.“
Für die kleineren (soziokulturellen) Einrichtungen sagte Styliannos Elefterakis, Geschäftsführer der Kulturwerkstatt „Westend“: „Bei den jetzt auf den Tisch liegenden Kürzungen bleiben uns fast keine operativen Mittel mehr – also Geld zur Umsetzung der Ideen.“ Und die, die Ideen haben, stehen auch bald zur Disposition: Die abgeordneten LehrerInnen, die in den kleinen Einrichtungen oft den Großteil des kontinuierlich arbeitenden Personals ausmachen. Doch auch beim Fockemuseum würde durch Rückruf der abgeordneten LehrerInnen die Hälfte der wissenschaftlichen Angestellten fehlen, wie Christiansen betonte.
Zum Schluss der Diskussion verwies Galeristin Katrin Rabus auf einen Kronzeugen wider das Sparen, der der Kulturszene bisher eher fremd war: Den Chef von MkKinsey Deutschland, Jürgen Kluge. Der hat kürzlich in einem Interview des Berliner „Tagesspiegel“ ausdrücklich, Kultur und Bildung als die zukunftsträchtigsten Bereiche von den Sparrunden auszunehmen.
HB
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen