: „Zu viel geredet, zu wenig gehandelt“
Nach zehn Tagen in Brandenburg zieht Noël Martin Bilanz. Deutliche Kritik an halbherziger Politik gegen Rassismus
BERLIN taz ■ Zum Abschluss seines zehntägigen Besuchs in Brandenburg fand Noël Martin noch einmal deutliche Worte. Er sei enttäuscht darüber, dass in Mahlow bei Berlin „bisher zu viel geredet und zu wenig gehandelt werde“, sagte der 42-jährige Brite jamaikanischer Herkunft, der seit einem rassistischen Angriff in Mahlow im Juni 1996 querschnittsgelähmt ist.
Während seines Besuchs hatte Noël Martin intensiv mit Schülern und Bürgern diskutiert und sich mit der Handvoll Migranten unter den 8.000 Einwohnern des Dorfes getroffen. Für Menschen wie die deutsch-türkische Familie Özbek, deren Kinder mehrfach von Skinheads angegriffen wurden, oder den 16-jährigen afrodeutschen Marcel, der jahrelang rassistischen Pöbeleien ausgesetzt war, ist er zum Hoffnungsträger geworden. Eine Rolle, die Martin selbst überrascht hat: „So viele Menschen sind zu mir gekommen, weil sie hoffen, dass ich etwas für sie tun kann.“ Es sind die Berichte der Betroffenen und der knapp 30 Männer und Frauen, die monatelang gegen ständige Anfeindungen seinen Besuch vorbereitet hatten, die ihn davon überzeugten, dass sich in den letzten fünf Jahren wenig geändert hat am Umgang der Mahlower Mehrheit mit Rassismus und den „rechten Jungs“ von nebenan. Die treffen sich nach wie vor am Stammtisch im beliebten Gartencafé am Bahnhofsvorplatz und führen das große Wort.
In Mahlow müsse „Recht und Ordnung wieder hergestellt werden“, sagt Noël Martin deshalb. Was er damit meint? Zum Beispiel, dass die politisch Verantwortlichen, allen voran Bürgermeister Werner la Haine, die dominante rechte Jugendszene nach wie vor verharmlosen und die Betroffenen im Stich lassen würden. Und dass die Polizei nicht in der Lage sei, die potenziellen Opfer zu schützen.
Wie es weitergehen soll, jetzt, wo der Alltag wieder einkehrt, die Journalisten wegfahren und keine zusätzlichen Polizeistreifen mehr am Bahnhof die Rechten vom Biertrinken und Parolengröhlen abhalten? Noël Martin hat klare Vorstellungen: Er will regelmäßig nach Mahlow zurückkehren und hat den Bürgermeister gebeten, für seine Besuche ein Gebäude im Ort zu finden. Außerdem hat ihm Ministerpräsident Manfred Stolpe 50.000 Mark für den Aufbau eines multikulturellen Jugendaustausches zugesagt. Damit sollen Jugendliche aus Brandenburg in die jamaikanische Einwanderer-Community nach Birmingham eingeladen werden.
Er habe ein Tabu gebrochen und die Menschen zum Reden gebracht, sagt Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger zum Abschied zu Noël Martin. Dank vermischt sich mit dem Prinzip Hoffnung. Dass am Wochenende in Falkensee bei einem Straßenfest Neonazis eine Iranerin bedrohten und einem linken Jugendlichen das Nasenbein brachen, erwähnte gestern niemand. HEIKE KLEFFNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen