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Zu Musik werden

Erinnerungen und Vertrautheit: Der Bassist Ed Schuller spielt im A-Trane die Musik seines Freundes Jim Pepper

Ein Summen löst sich von der Basslinie, ein leiser Singsang von den Lippen des Bassisten, der dort so selbstvergessen auf der Bühne steht, eins mit seinem Instrument. Ein paar Tage später sitzen wir uns in seiner Küche gegenüber. Eine Wohnung in Kreuzberg. Ed Schuller, vor 46 Jahren in New York geboren, lebte seit den 80ern in Berlin. Als Musiker und Lehrer, u. a. an der Hans-Eissler-Schule für Musik.

Vor zwei Jahren ging er zurück nach New York. Berlin-Blues? Streitigkeiten mit der hiesigen „Jazzszene“? Ed Schuller bleibt zurückhaltend. Zur Zeit gäbe es für ihn mehr Möglichkeiten in New York. Die Wohnung behält er trotzdem. Sie wird bestimmt von dem, was er als Mission begreift: Die Fortführung des musikalischen Erbes von Jim Pepper, dem Mitspieler, Saxofonisten und Freund. Nach Peppers Tod wollte er dessen Kompositionen lebendig halten. In jahrelanger Kleinarbeit begann er, die Musik zu transkribieren und ein sichtbares Gedächtnis anzulegen. Die Verbundenheit Peppers mit den Symbolen und der Tradition seiner indianischen Wurzeln verleiht ihm Authentizität und Größe. Ed Schuller sieht sich nur als der Beobachtende, Hörende, Fühlende.

Auf dem Tisch im Nebenzimmer stapeln sich Bücher über Mathematik, Physik und Astrologie. Ed Schuller findet die Ordung der Welt in der Musik wieder. Viele seiner Kompositionen sind Experimente, Umsetzungen naturwissenschaftlicher Phänomene in Notenwerte und Akkorde. Sein Bass steht im Flur, in einem weißen Plastikkoffer, der übersät ist mit Aufklebern von Städten und Flughäfen von Australien bis Venezuela. Bei einem Autounfall wurde der Bass zertrümmert und wieder zusammengeflickt. Über so viele Jahre steckt auch ein Teil des Musikers in seinem Instrument. Erinnerungen und Vertrautheit. Da trennt man sich nicht so einfach.

Dabei ist Ed Schuller selbst nur ein Stück Geschichte von diesem Bass, der um 1895 herum in Tirol gebaut wurde. Die Vergangenheit klebt an Ed Schuller fest. Die Kindheit zwischen hunderten von Platten, Instrumenten und Notenpapier. Zwischen Gesprächen von Musikern wie Ornette Coleman oder Charles Mingus. Freunde seines Vaters, die oft vorbeikamen. Das Wachsen zum Musiker ergab sich wie von selbst. Aber auch die harte Arbeit, das Üben bis zur Erschöpfung, der Wunsch nach Perfektion. Die Suche nach dem eigenen Ausdruck, das Gefühl, Musik zu werden. Er spielte fragmentarisch und reduziert. Die Musik galt als Avantgarde. Das kleine deutsche Label Tutu veröffentlichte schließlich die Musik von Pepper und Schuller. Auch die neue CD Schullers, ein Dialog zwischen Bass und Saxofon: „Savignyplatz – The Art of the Duo“ mit dem ebenfalls lange in Berlin lebenden Saxofonisten Mack Goldsbury. Sie bildet die intime Atmosphäre des im letzten Jahr im A-Trane aufgenommenen Konzerts ab.

Jetzt, auf der Bühne, glänzt das Holz matt. Es ist an vielen Stellen zerkratzt und abgegriffen. Wie ein Gesicht bei dem jede Falte eine Erinnerung ist. Ed Schuller spielt „Da’Koda“ – die Musik seines Freundes. MAXI SICKERT

Do. bis Sa., 22 Uhr, A-Trane, Bleibtreustr. 1, Charlottenburg

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