: Ulla Schmidt lacht immer noch
Kranke Gesundheitspolitik im Bundestag: Union fordert ein Sofortprogramm noch vor der Sommerpause und eine Gesundheitsreform vor der Wahl. Ministerin Schmidt wiegelt ab: Kassenbeiträge seien unter Seehofer stärker gestiegen
von STEPHANIE VON OPPEN
Den Brillenbügel zwischen den Zähnen und ihr Kampflächeln auf den Lippen, so schritt Ulla Schmidt gestern zum Rednerpult, um ihre Gesundheitspolitik zu verteidigen. Zuvor hatte die Opposition im Rahmen der aktuellen Stunde zu den Beitragserhöhungen der Krankenkassen schweres Geschütz aufgefahren und eine Gesundheitsreform vor der Wahl gefordert.
Wolfgang Lohmann (CDU) sagte: „Die aktuellen Beitragserhöhungen gehen einzig und allein auf Ihren rot-grünen Murks zurück.“ Der ehemalige CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer warf der Ministerin eine „rückwärts gewandte“ Politik vor. Wenn Ulla Schmidt sage, sie brauche Zeit, um eine grundlegende Gesundheitsreform vorzubereiten, dann verkenne sie die reale Lage. Seehofer forderte „ein Sofortprogramm noch vor der Sommerpause“ und vergaß nicht, darauf hinzuweisen, dass Rot-Grün das Gesundheitsressort in stabiler Verfassung übernommen habe.
Diesen Hinweis konterte Ulla Schmidt prompt: Süffisant wies sie Seehofer auf ihre glückliche Lage hin, direkten Zugang zu den Zahlen im Gesundheitsministerium zu haben. Danach seien zum Beispiel die Krankenkassenbeiträge zu Seehofers Zeiten von 12, 3 auf 13, 6 Prozent gestiegen. Seit dem Regierungswechsel seien die Beiträge hingegen stabil geblieben. Ihr bereite Sorgen, dass nun erste Kassen die Beiträge erhöhen, allerdings warnte sie davor, dies überzubewerten. Im Bundesdurchschnitt sei das eine Steigerung von 0,1 Prozent.
Schmidt verteidigte auch die umstrittene Abschaffung des Arzneimittelbudgets. Sie wies darauf hin, neue Kontrollmechanismen innerhalb der Selbstverwaltung von Ärzten und Kassen schon auf den Weg gebracht zu haben. Als Erfolg ihrer Amtszeit verbuchte Schmidt auch den Risikostrukturausgleich, durch den der Ausgleich zwischen den Kassen gesichert, aber auch die Versorgung von chronisch Kranken verbessert werden soll. Schließlich kündigte sie eine Reform der Arztausbildung an, die sich stärker als bisher an den veränderten Bedingungen im Gesundheitswesen orientieren soll.
Mit keinem Wort hingegen erwähnte die Ministerin das Strategiepapier aus dem Kanzleramt, das am Tag zuvor in Umlauf gebracht worden war. Dieses sieht ein System von Regel- und Wahlleistungen im Gesundheitssystem vor, das Schmidt bisher immer abgelehnt hatte. Ins Feld geführt wurde das Papier hingegen von der Opposition. So unterstrich Dieter Thomae von der FDP, dass es in Zukunft einen Bereich geben werde, der solidarisch finanziert werde, und alle Leistungen darüber hinaus von dem Arbeitnehmer selbst zu zahlen seien. Er forderte die Regierung auf: „Seien Sie nicht so feige, und sagen Sie den Bürgern, wohin der Zug geht.“ Die grüne Gesundheitsexpertin Katrin Göring-Eckardt warf der FDP daraufhin vor, sie fordere „Freiheit ohne Verantwortung“, und unterstrich: „Die Versorgung muss solidarisch bleiben.“ Mit der Qualitätssicherung allerdings müsse es nun vorangehen. Wie andere Redner auch wies sie darauf hin, dass Deutschland eines der teuersten Gesundheitsysteme hätte, aber bei der Versorgung allenfalls im Mittelfeld liege.
Ein weiterer Schritt, um die viel beschworene Qualität zu sichern, wurde gestern vollzogen als sich ein Koordinierungsausschuss von Vertretern der Kassen, Ärzte und Krankenhäuser konstituierte. Dieser gemeinsame Ausschuss soll Fehlausgaben bei verschiedenen Krankheitsbildern überprüfen und Korrekturen vorschlagen. Der Präsident der Bundesärtzekammer, Jörg-Dieter Hoppe, sagte, wer die Ausschussvorgaben nicht einhalte, könne haftungsrechtliche Probleme bekommen.
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