: Löffel abgeben!
Der Lichtnahrungskult der Australierin Jasmuheen verspricht die Lösung des Welthungerproblems. Vor allem junge Frauen besuchen die Hungerkurse
von COLIN GOLDNER
Seit Ende 1990 zieht eine australische Heilskünderin unter dem spirituellen Namen Jasmuheen – „Duft der Ewigkeit“ – auch in Europa und in den USA zahlreiche Menschen in ihren Bann. Vor allem junge Frauen sind es, die der früheren Sparkassenangestellten Ellen Greves, einer aufgetakelten Mittvierzigerin, zu Füßen liegen. Diese behauptet, seit Jahren keinerlei Nahrung mehr zu sich genommen zu haben; selbst auf Flüssigkeit könne sie verzichten. Seit sie keine physischen Stoffe mehr aufnehme, bedürfe sie auch keines Schlafs mehr. Laut eigenen Angaben ernährt sie sich ausschließlich von Lichtenergie, wie dies in früheren Zeiten alle höher entwickelten Menschen getan hätten. Heute gebe es nur noch wenige Yogis und Heilige, die ganz ohne Nahrung und Schlaf auskämen, die Bewegung des „Breathairianism“ – frei übersetzt: des Atemluftismus – sei indes weltweit wieder im Zunehmen begriffen: Durch „bewusste Umprogrammierung“ könne jeder Körper darauf eingestellt werden, sich künftig allein von Licht zu erhalten.
Jasmuheen hatte bereits vor ihrem Aufstieg zur Lichtnahrungsprophetin telepathisch empfangene Botschaften verkündet. Diese drehten sich zunächst weniger um Licht als um Liebe: „Atme mit der Energie deines Atems reine Liebe in die Reiche um dich herum. Atme das Licht ein und fühle, wie es jede Zelle deines Körpers erfüllt; dann, wenn du ausatmest, gib jene göttliche Liebe, die jede Zelle erhält, frei, mit der Absicht und dem Verlangen nach Liebe und Frieden. Indem du dich auf Liebe richtest, wirst du Liebe.“
Nach zigtausenden Metern Tonbandmitschnitt und abertausenden transkribierten Seiten über kosmische Liebe habe sie Anfang 1992 von jenseits Anweisungen für ein Leben ohne stoffliche Nahrung erhalten. Kurz darauf gründete sie die so genannte Self Empowerment Academy, über die sie diese Anweisungen weltweit zu vermarkten begann. In einem 21-tägigen „Transformationsprozess“, so die jenseitige Maßgabe, werde der Organismus molekular gänzlich umstrukturiert: Die ersten sieben Tage verbringt man, ohne irgendetwas zu essen oder zu trinken, die zweiten sieben Tage nimmt man nur schluckweise Wasser zu sich, die dritten sieben Tage trinkt man schluckweise verdünnte Säfte. Nach den drei Wochen sei der Verdauungstrakt stillgelegt, es sei hinfort nicht mehr erforderlich, irgendwelche stoffliche Nahrung aufzunehmen. Auf Wunsch könne man freilich auch zu normalen Essgewohnheiten zurückkehren, die meisten Prozessabsolventen täten dies aber nicht aus Notwendigkeit, sondern „weil sie es leid sind, anders zu sein, und unter sozialem Druck“.
Lichtenergie, wie Jasmuheen wortreich erläutert, sei die „Nahrungsquelle für das kommende Jahrtausend“: Der Lichtnahrungsprozess sei insofern nichts weniger als die Lösung des Welthungerproblems. Im Übrigen bedeute der dreiwöchige Prozess eine Art spiritueller Einweihung, die die telepathische Kontaktnahme zu ebenjenen Sphären erlaube, aus denen der 21-Tage-Prozess übermittelt worden sei. Dort säßen „heilige Männer, die ihre Schwingung auf feinere Frequenz eingestellt haben“. Um sie sehen zu können, müssten wir unser spirituelles Sehorgan aktivieren, unser drittes Auge, sowie unseren Hypothalamus. Dessen vollständige Aktivierung ermögliche uns „eine klare Verbindung mit der göttlichen Intelligenz des Universellen Geistes“.
Stundenlang sondert Jasmuheen bei ihren Veranstaltungen derlei Botschaften ab, und das Publikum, junge Frauen vornehmlich, hängt wie gebannt an ihren Lippen: „Das Modell, das ich kreierte, umfasst eine Realität der Universellen Gesetze, der Frequenzbereiche des Bewusstseins, der Lichtwesen und des Aufsteigens. Es ändert sich so, wie ich wachse und zu meiner eigenen Göttlichkeit wieder erwache.“
Im deutschsprachigen Raum erlangte Jasmuheen erstmals größere Publicity durch einen Auftritt in der RTL-Show „Schreinemakers live“ vom 12. Juni 1997. In einschlägigen Kreisen genießt sie seither größte Wertschätzung. Über den rechtslastigen Peitinger Michaels Verlag vertreibt sie eine Unzahl Bücher, Videos und CDs. Ein eigenes Verlautbarungsorgan sowie breit angelegte Internetpräsenz dienen der Anwerbung neuer Kundschaft.
Im oberbayerischen Apfeldorf betreibt Jasmuheen eine eigene Niederlassung, die so genannte Movement of an Awakened Positive Society Academy, über die ein gewisser Christopher Schneider, Geistheiler von Profession, regelmäßig den „21-Tage-Prozess“ anbietet. Das österreichische M.A.P.S.-Lichthaus bei Eisenstadt empfiehlt zur Vorbereitung auf den Prozess die tägliche Einnahme eines Teelöffels Petroleum.
Mehrfach schon tingelte Jasmuheen durch die Bundesrepublik, durch Österreich und die Schweiz. Ihre Veranstaltungen waren durch die Bank ausverkauft. Selbst nachdem drei Todesfällen bekannt geworden waren, die sich in Zusammenhang mit dem „Lichtnahrungsprozess“ ereignet hatten, riss der Zustrom nicht ab. Jasmuheen selbst hielt es für angezeigt, die Risiken zumindest anzudeuten: „Die Durchführung des Prozesses kann körperliche Schäden nach sich ziehen. Das muss jedem klar sein, der erwägt, ihn trotzdem durchzuführen.“ Ansonsten sei in ihrem „persönlichen Kreis kein Mensch gestorben, der den 21-Tage-Prozess durchlaufen hat“, sie sei in die Sache mit den drei zu Tode Gekommenen „zu keiner Zeit involviert“ gewesen. M.A.P.S.-Akademie-Leiter Schneider beeilte sich zu erklären, wer nicht frei sei von karmischen Verstrickungen, werde im Prozess damit konfrontiert. Die drei Todesopfer seien insofern selbst schuld gewesen, sie hätten schlechtes Karma mitgebracht. Ansonsten sei der Prozess, so Schneider, ein „sehr schöner und gleichzeitig intensiver Weg, die eigene Göttlichkeit zu erfahren und in der Liebe zu sein. Es ist eine Reise zu deiner Kraft, zu deiner ureigenen Spiritualität, zu deiner Freiheit.“ Jasmuheen selbst betonte: „Der Tod eines Menschen steht von vornherein fest, ist vorgesehen“; es sei in der Tat das „Karma der Verstorbenen“ gewesen, im Zuge des Prozesses zu sterben.
Szenemagazin Esotera empfahl, auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr zu achten, dann könne der Prozess durchaus von Wert sein. Der menschliche Körper lasse sich „auf vieles einstellen“, was nicht nur durch indische Yogis bewiesen werde, deren Nahrungslosigkeit „zweifelsfrei dokumentiert“ sei, sondern auch durch die „berühmte Stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth, die in den letzten 17 Jahren vor ihrem Tod im Jahre 1962 nur von einer Hostie täglich und Wasser lebte“.
Bis heute sollen allein im deutschsprachigen Raum mehr als fünftausend Menschen den 21-Tage-Prozess mit Erfolg absolviert haben. Über die Dunkelziffer „erfolgloser“ bzw. gesundheitlich geschädigter TeilnehmerInnen wird nicht gesprochen. Ohnehin scheinen gerade solche Menschen sich von Jasmuheen angesprochen zu fühlen, die am Rand psychischer Gesundheit unterwegs sind: Auffallend viele Magersüchtige treiben sich auf ihren Veranstaltungen herum. Das Ganze bewegt sich zwischen Livesatire und offener Psychiatrie.
Jasmuheen wurde unlängst eingeladen, sich einem Experiment zu unterziehen: Sofern sie unter Aufsicht einen Monat keine Nahrung zu sich nehme und anschließend noch einen Kilometer laufe, erhalte sie einen Betrag von rund 100.000 Mark. Ob sie daran teilnehmen wird, steht noch dahin; da sie nach eigenen Aussagen „kein Interesse an Macht, Ruhm oder Geld“ hat, ist das nicht sehr wahrscheinlich. Wie sie ihre vorgebliche Bedürfnislosigkeit mit dem luxuriösen Lebensstil vereinbart, den sie zur Schau stellt, muss gleichfalls dahinstehen. Auch was es mit dem „gut gefüllten Kühlschrank“ auf sich hat, den Reporter in ihrem Haus in Brisbane entdeckten.
Anfang 2000 wurden zwei enge Mitarbeiter Jasmuheens wegen Totschlags verurteilt: Sie wurden von einem australischen Gericht für schuldig befunden, den Tod eines der drei Opfer herbeigeführt zu haben, das im Zuge eines „Lichtnahrungsprozesses“ an Nierenversagen gestorben war. Dem Einwand der Beklagten, die Frau sei einer „spirituellen Blockade“ erlegen, wurde kein Gewicht beigemessen.
Weiter Information gibt das Forum für Kritische Psychologie:www.fpk-muenchen@t-online.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen