: Sinnfragen im Schlamm
Das Bier: labberig. Das Publikum: rücksichtsvoll. Die Dänen: nur moderat betrunken. Das Line-up: exzeptionell. Die Devise: Entertainment. So war das Roskilde-Festival im Jahr 1 nach dem Unfall
von JENNI ZYLKA
Bei jedem Roskilde-Besuch gibt es den Moment, an dem man sich fragt: Was soll man hier überhaupt? Aus der Entfernung Rock-Opas gucken? Labberiges Dänenbier für 25 Kronen schlürfen? Sich Mud-Jeans basteln?
Trotzdem sind wir wieder hier. Haben beim Zeltaufbauen amtlich geschwitzt und darum früh angefangen mit dem Labberbier – mit extra wenig Alkohol, wegen der Sicherheit! Im letzten Jahr passierte jener tödliche Unfall, der in Roskilde die Musik in den Hintergrund rücken ließ. Plötzlich wusste die Öffentlichkeit alles mögliche über das viertägige Festival: Dass seit 30 Jahren nichts passiert war vor den sechs Zelten, dass über 10.000 Menschen ehrenamtlich mitarbeiten und dass sich niemand an den Einnahmen (Ticket 250 Mark) bereichert. In diesem Jahr soll der Kartenverkauf zwar hinter den Erwartungen zurückgeblieben sein, munkelte man. Hausieren ging die Crew um Leif Skov dafür mit den neuen Sicherheitsvorkehrungen und der ganz anderen Stimmung, die man verbreiten wollte.
Und die ist auch anders, die Stimmung, ob nun auf Grund der traurigen Erinnerung oder wegen des Sonnenscheins. Die nach Met duftenden Wikinger (wieder um die 80.000) rempeln einen nicht mehr alle naselang über den Haufen, und dieTake-care-Regeln werden heruntergebetet wie das Vaterunser. Sogar ein rundes Schild wurde entworfen: drei stilisierte Männchen mit hochgereckten Armen, über denen ein viertes schwebt, das Ganze rot durchgestrichen: „No crowdsurfing!“ Dazu prangt auf den offiziellen, hässlich-beigen Roskilde 2001-T-Shirts der Slogan: „Remember how fragile we are . . . take care“ – anstatt, wie üblich, das Line-up.
Dabei taugte gerade das 2001-Line-up prima zum Angeben: Bob Dylan und Neil Young, PJ Harvey und Patti Smith, The Cure, Nick Cave, Robbie Williams, Beck, und noch rund 150 andere. Die meisten der KünstlerInnen halten, was man sich von ihnen versprochen hat: PJ Harvey ist zwar spröde, aber fängt das wieder auf durch wunderbar-brachiales Heruntereumeln ihrer Songs, das Ganze in einem Bikini-Rock-Outfit, die Gitarre mit dem Brett-Sound fest in den dünnen Armen. Becks Bassist trägt einen Afro, in dem man ein Teeservice verstecken könnte, und er und Beck hüpfen umeinander herum, dass wir glatt mithüpfen müssen. Bei „Milk and Honey“ trudeln plötzlich bunte Fesselballons über den Platz vor dem orangenen Zelt hinweg, daraus winken Menschen herunter, und eine glückliche Beck-Meute winkt herauf. „I arranged that for you!“, kichert Beck. Dieses dünne US-Kid weiß, wie Show geht.
Show-Einlagen findet man überall, nicht nur beim Quasi-Show-Erfinder Robbie Williams, sondern sogar versteckt im Hardrock. Danko Jones, die für Jurrassic 5 einspringen, benehmen sich wie Kiss ohne Schminke, dafür aber in smarten Anzügen. Sänger Danko Jones setzt zu einem Schrei an: „My mother raised a devil child!!!“, und fickt sie im Übrigen alle: „There are three men on the stage, ladies of Denmark, so chooooose!“ Das alles zu fabulösem Hardrock-Gerammel, wo so ein Geschlechtsgeprotze doch eigentlich gar nicht zu Hause ist.
Sogar die Kitty-Yo-Bands aus Berlin wollen entertainen, ziehen sich aus und um (Peaches und Gonzales) oder verkleiden sich als Hubert Kah und feiern Kraftwerk (Jeans Team). Richtig viele deutsche Acts gibt es bei dem Festival, dessen deutsche Gäste die drittgrößte Besuchergruppe stellen, ja nie – man erkennt sie daran, dass sie keine Ohrstöpsel tragen. Die Skandinavier dagegen betrachten den Hörsinn als das bei weitem Schützenswerteste ihrer Erobererkörper: knallrot verbrannt, schon morgens haubitzenvoll, aber vorbildlich zugestöpselt. Am dritten Tag pinkeln betrunkene Mädchen hemmungslos überall auf den Platz. Wenn man sie fotografieren würde, könnte man eine Homepage für Liebhaber daraus machen: www.outdoor-vikingshowers.com.
Aber es wird eher moderat gesoffen. „It’s good to be drunk in Denmark“, begrüßt der rothaarige Frontman von Queens of the Stone Age sein nachmittägliches Publikum, bevor er mit dunklem, hartem Psychedelic Desert Rock loslegt. Dazu melodiöser Gesang, und hin und wieder Slide-Gitarre – oder, Stranglers-mäßig, ein pumpendes E-Piano. Der Sänger wird nach langem Gitarrengeknödel so jazzig leise, nur hin und wieder hie und da ein Gezupfe, dass die Ohrstöpsel rausgenommen werden: Spielt der überhaupt noch? Da plötzlich, keiner hat das Zeichen gesehen, knallt er uns wieder das Brett um die Ohren, und alle fliegen lachend einen Meter zurück. Eine bezaubernde Band.
Bezaubernd auch die japanischen Space-Comic-Mädels von Ex-Girl, wieder mit starker Show-Einlage: in bunten Plastikkleidern auf türkisem Bass und rosa Gitarre schrammeln sie 7/8-Experimental-Punk-Sound herunter und singen dazu mehrstimmig. Und bei den US-Amerikanern Grandaddy, die mit sanftem, elektronischem Geblubber und Jesus-and-Mary-Chain-Gitarren vom einen in den nächsten Song sliden, singt ein blond bewimperter Däne hinter mir so gut mit, dass es klingt wie eine zweite Stimme. Ganz harmonisch beackern auch die vier verrückten Finnen von Apocalyptica ihre Celli beim Metallica-Songs-Nachspielen.
Der Moment, an dem man sich nach Sinn und Unsinn dieses ganzen Festivals fragt, der ließ sich in diesem Jahr also ganz hervorragend zwischen dem weißen und dem blauen Zelt, in irgendeiner Mediendorf-Kneipe, in frischem Erdbeer-Margherita ertränken. Ein Schluck. Und schon ist er vorbei.
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