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Martini mit Auge

Im Computeranimationsfilm „Shrek“ wird ein ungezogenes, rülpsiges Monster zur Kampfansage gegen Disney

„Shrek“ ist ein Märchen, in dem der Titelheld, ein hässliches, furzendes, rülpsendes, erbsengrünes Monster, mit einem dauerplappernden Esel loszieht, um eine Prinzessin zu retten und einen Drachen zu besiegen, wobei es sich im Verlaufe der Heldentaten verliebt, seine Liebe verliert, den bösen Fürsten aus dem Land jagt und die Liebe schließlich wieder findet: Denn ein Märchen ohne Happy End ist schließlich kein Märchen.

„Shrek“ ist ein Kinderfilm nach dem gleichnamigen, erfolgreichen Bilderbuch von William Steig, in dem die Liebesgeschichte des hässlichen Helden und der Prinzessin mit dem dunklen Geheimnis vor allem die schöne Moral vermitteln soll, dass man sich selbst doch akzeptieren möge, so wie man ist. Außerdem lernen Kinder: dass man sich aus dem eigenen Ohrenschmalz eine Kerze basteln kann, dass ein Schlammbad erholsam ist und Ratte am Spieß exquisit schmeckt, dass sich Aschenputtel und Schneewittchen nicht leiden können und dass man seinen Martini auch mit einem Auge anstatt einer Olive garnieren kann.

„Shrek“ ist aber auch ein Film für Erwachsene, denn sein Humor funktioniert für nahezu alle Altersklassen. Der im Original von Eddie Murphy gesprochene Esel hat das dreckigste Schandmaul in der Geschichte der Animation, und die Prinzessin verteilt Prügeleinheiten im Stile von Michelle Yeoh in „Tiger and Dragon“ an eine Horde Räuber, die aus einer Riverdance-Aufführung entlaufen zu sein scheinen. Außerdem gibt es Anspielungen auf Filme wie „Matrix“ oder „Ein Schweinchen namens Babe“. Die Klischees und ausgelutschten Wendungen klassischer Märchenfilme werden gnadenlos auseinander genommen, durch den Fleischwolf gedreht, und anschließend darf Shrek noch ein wenig auf ihnen rumtrampeln.

„Shrek“ ist – natürlich – auf dem momentan avanciertesten Stand der Computeranimation, „zumindest für die nächsten anderthalb Minuten“, so Jeffrey Katzenberg, Chef der verantwortlichen Produktionsfirma DreamWorks. 275 Animatoren haben drei Jahre an diesem Film gearbeitet und dafür gesorgt, dass niemals zuvor mit dem Computer so exakt der Faltenwurf von Kleidung, das Fließen von Wasser, das Lodern von Feuer und vor allem die Mimik und Gestik von Gesichtern nachgestellt wurden. Tatsächlich, so Katzenberg, hätte „Shrek“ sogar noch naturalistischer werden können. Angeblich verzichtete man aber darauf, weil sich zu viel Fotorealismus nicht mit dem märchenhaften Charakter der Story vertragen hätte.

„Shrek“ ist, last not least, auch DreamWorks’ neueste Kampfansage an den Disney-Konzern und dessen Position als Branchenprimus im weltweiten Animationsmarkt. Mit „Antz“ und „A Bug’s Life“ brachte die Firma vor drei Jahren nahezu zeitgleich zwei Filme in die Kinos, die im Insektenreich spielten. „Shrek“ nun ist der erste große kommerzielle Animationserfolg für DreamWorks und hat in den USA bereits bewiesen, dass das Publikum nicht nur die süßlichen Musicals von Disney goutiert. Verdientermaßen wurde „Shrek“ seit „Peter Pan“ vor 48 Jahren der erste Animationsfilm, der zum Wettbewerb in Cannes eingeladen wurde.

Letztlich ist „Shrek“ auch Katzenbergs Abrechnung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber Disney. Nachdem er Disney verließ, um mit Steven Spielberg und David Geffen DreamWorks zu gründen, hat Katzenberg seinen Exchef Michael Eisner als „kleinen Knirps“ bezeichnet, und auch Shreks Gegenspieler, der böse Lord Farquaad, ist ziemlich klein gewachsen. Seinen Minderwertigkeitskomplex kompensiert er mit einem Schloss, das mit überdimensionierten Türmen protzt und ansonsten eine Karikatur auf die Vergnügungsparks von Disney World ist. Als Shreks Sumpf von Peter Pan, Robin Hood, den sieben Zwergen, den drei kleinen Schweinchen, Gnomen, Elfen und Zauberern besetzt wird, die nahezu alle schon einmal in Disney-Filmen verwurstet wurden, findet sich das DreamWorks-Geschöpf Shrek quasi in einem von der direkten Konkurrenz gestalteten Alptraum wieder. Wenn die Prinzessin sich einen Sangeswettbewerb mit einem liebreizenden Vögelchen liefert, ist das ein Zitat aus „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, Disneys erstem abendfüllendem Zeichentrickfilm – nur dass der Vogel der DreamWorks-Produktion bei der höchsten Note lautstark explodiert. Anschließend haut die Prinzessin die verwaisten Eier in die Pfanne. So erspart „Shrek“ seinem Schöpfer Katzenberg, der bereits eine 250-Millionen-Dollar-Arbeitsrechtsklage gegen Disney gewonnen hat, auch noch den Psychiater.

THOMAS WINKLER

„Shrek – Der tollkühne Held“, Regie: Andre Adamson, Vicky Jenson. DF mit den Stimmen von Sascha Hehn, Randolf Kronberg, Esther Schweins, Rufus Beck u. a. USA 2001, 90 Min.

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