: Total verweigert: Disziplinar-Arrest
■ 24-jähriger Wehrpflichtiger folgt seiner Einberufung in die Kaserne Schwanewede und stellt seine Vorgesetzten vor ein Problem: Er macht nicht mit – aus Prinzip nicht und als Pazifist
Gestern weigerte sich der in Schwanewede stationierte Wehrpflichtige Kai S., sich so zu einzukleiden, wie ihm befohlen wurde. Zweimal habe er den Befehl verneint und schwupps – wurde er wieder festgenommen und als Disziplinarmaßnahme in die Arrestzelle gesteckt. Die kennt Kai S. bereits, weil er dort auch die letzten sieben Tage und Nächte verbracht hat. Zwei mal drei Meter, Waschbecken, Toilette, Pritsche, beschreiben seine Freunde die kärgliche Einrichtung.
Der 24-Jährige ist ein Totalverweigerer. Das bedeutet, er verweigert sowohl den Dienst an der Waffe als auch den Wehrersatzdienst, auch Zivildienst genannt. „Ich habe mich bewusst entschlossen, jeden mir aufdiktierten Zwangsdienst zu verweigern“, schreibt er in einer Erklärung. Als Pazifist lehne er den Zivildienst ab, weil „Zivildienstleistende im Ernstfall den Truppen aktiv zuarbeiten und zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung eingesetzt werden können“. Deshalb hat er auch keinen Kriegsdienstverweigerungsantrag eingereicht, um sich eine Zivi-Stelle zu suchen.
Der letzte Befehl, dem Kai S. gehorchte, war sein Einberufungsbefehl. Vergangenen Montag betrat er vormittags den Hof der Lützow-Kaserne, um anschließend deutlich zu machen, dass er nur deshalb da sei, um den Dienst zu verweigern. Er erzählt, dass seine neue Umgebung zunächst mit Verunsicherung und Unglauben reagiert habe. Er sei mehrfach darüber belehrt worden, dass er sich straffällig mache. „Ständig wird mir ins Gewissen geredet, es wäre doch schade um mich, ich intelligenter Bursche. Manchmal möchte ich mit niemand reden müssen, das Schwerste ist, sich selber treu zu bleiben“, schreibt er. Strafanzeige ist nach Auskunft seiner Freunde bereits bei der Staatsanwaltschaft Verden erstattet worden.
In der Regel würden keine Freiheitsstrafen mehr verhängt, informiert eine Broschüre zum Thema Totalverweigerung im Internet. Bewährungs- oder Geldstrafen seien üblich geworden. „Einen Freispruch gibt es vielleicht einmal in 15 Jahren“, sagt Jörg Eichler, Mitarbeiter beim Verein Totaler Kriegsdienstverweigerer (TKDV) und Redakteur der Zeitschrift „Ohne Uns“. Er kritisert die unbeständige Rechtssprechung und die totale Abhängigkeit des Angeklagten vom Goodwill des Gerichtes. Das habe die Möglichkeit zwischen dem Grundrecht auf Gewissensfreiheit und der Gehorsamsverweigerung abzuwägen, sagt der Verweigerungs-Experte.
Detlev Beutner dokumentiert ihm bekannte Fälle von Totalverweigerung für Rechtsanwälte. 20 bis 50 seien es jährlich, die Dunkelziffer läge bei 100 bis 200. Totalverweigerungen aus dem Wehrdienst heraus wie bei Kai S. seien seltener. „Häufiger sind Fälle, wo jemand bereits verweigert hat und dann den Zivildienst abbricht.“ Dienstflucht heißt das, ziviles Pendant zur Fahnenflucht. Daran ist in Kai S.s Fall nicht zu denken. Heute wird darüber entschieden, wie lange er dieses Mal in Disziplinar-Arrest bleibt. Er rechnet mit 21 Tagen. „Insgesamt haben sich die Truppengerichte auf einen Zeitraum von drei mal 21 Tagen geeinigt“, erklärt Eichler. „Seit Mitte der 90er versuchen sie es auch schon mal mit 84 Tagen.“ Den Sinn dieses Arrests findet er zweifelhaft, diene er doch der Disziplinierung eines Truppenmitglieds, das danach wieder ordnungsgemäß den Dienst antritt. Im Fall von Kai S. sei das nicht zu erwarten.
Noch ginge es ihm ganz gut, sagt Kai S. „Es ist aber nicht einfach, die ganze Zeit in der Zelle zu sein.“ Dabei werde er gut behandelt. Nur so richtig reden mochte gestern abend niemand über den Arrestierten in der Weser-Geest-Kaserne. „Über Totalverweigerer geben wir hier keine Auskunft“, sagt der wachhabende Offizier, der sich weigert seinen Namen zu nennen. ei
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