: Comedy, alte Schule
■ Robert Kreis reanimiert die frivolen 20er Jahre – und Delmenhorst steht Kopf
So also bekommt man das Publikum eines öffentlichen Theaters zum Toben! Als der niederländische Nostalgie-Entertainer Robert Kreis die letzten seiner „schlüpfrigen Couplets und Schlager“ aus den 20er Jahren anstimmte, stand das gesamte Delmenhorster „Kleine Haus“. Das im Schnitt nicht mehr ganz junge Publikum war durch und durch begeistert und wollte immer noch mehr: Man war froh, an diesem Abend nicht ferngesehen zu haben.
Und wirklich verdiente sich der schmächtige Sänger, Pianist und Kabarettist den Szenenapplaus, der sich schon nach den ersten Minuten seines „Best of“-Programms spontan einstellte. Im eng anliegenden Frack und mit viel Rouge auf den Wangen präsentierte er sich als Meister eines präzisen Seiltanzes am Rande der Exzentrik. Er kann gleichzeitig plaudern, singen, Klavier spielen und mit Gesicht, Füßen oder einer freien Hand Theater machen. Fast schon ein bisschen zu perfekt saß jede Nuance der Intonation, jedes kleine Zögern im Vortrag, jede parodistische Verwandlung der Mimik. Seit zwanzig Jahren sei er jetzt schon im deutschen Sprachraum unterwegs, berichtete Kreis. Doch was in den ersten Minuten ein wenig abgebrüht wirkte, gewann schnell an Überzeugungskraft, als der Schelllack-Charmeur die gute Stimmung aufsog.
Was in der Zeit zwischen den Weltkriegen sicher erfrischend frivol wirkte, kann tatsächlich auch heute noch die Zwerchfelle rühren. Das demonstrierte Kreis mit einem „errötenden (Kom)Potpourri“, welches so suggestive Nummern enthielt wie „Susel, was macht dein kleiner Pudel?“ (und was würde er von meinem großen Knochen halten?). Am besten war der Vortrag eines in den späten 20ern erschienenen Werkes über „Das Liebesleben des Weibes in gesunden und kranken Tagen“, das vor dem Entstehen von „Onanisten-Falten“ im ganzen Gesicht warnte. Im Licht solcher pseudowissenschaftlicher Auswüchse konnte der frivole Gesang zeitgenössischer Kabarettisten dann als pure Aufklärung erscheinen. Ob er das aber wirklich war, erscheint fraglich: Frivolität ist nur beschränkt subversiv, und die von Kreis so sehr geliebte Berlinerische Form der Sittenkomödie erhielt sich ja auch in manchem UfA-Film der 30er und 40er.
In Delmenhorst gab es also einen perfekten Entertainer „alter Schule“ zu sehen. Es war aber auch ein wenig befremdlich, dass das, was schon vorvorgestern komisch war, auch heute noch so gut ankommt.
Zeno Ackermann
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen