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Samaranchs letzter Triumph

Nachfolger des scheidenden IOC-Präsidenten ist Jacques Rogge. Der 59-jährige Belgier gilt als Kompromisskandidat mit Managerqualitäten

von MATTI LIESKE

Nachdem das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Wünschen von Juan Antonio Samaranch (81) gemäß bereits die Olympischen Spiele 2008 an Peking vergeben hatte, gelang dem scheidenden Präsidenten gestern bei der IOC-Vollversammlung in Moskau sein finaler Coup: Die Mitglieder wählten den Belgier Jacques Rogge zum Nachfolger des Spaniers, der 21 Jahre lang so unumschränkt über das IOC geherrscht hatte wie der Papst über die katholische Kirche.

Anders als diese, war die olympische Bewegung in den letzten zwei Jahren jedoch in einen mächtigen Strudel der Korruption und des Imageverfalls geraten, weshalb die Ernennung des 59-jährigen Arztes zum heiligen Olympiavater durchaus eine pikante Note besitzt. Mit der Inthronisierung des integren Aufsteigers Rogge an Stelle eines seiner früheren Weggefährten hat Samaranch endgültig die Wurzeln des Baumes gekappt, den er selbst einst gepflanzt hatte. Eine Wendung, als würde Johannes Paul II. plötzlich Hans Küng zu seinem Nachfolger ausrufen.

Das IOC unter dem asketischen, aber ruhmsüchtigen Patriarchen Samaranch hatte viele Jahre nach dem Muster einer geheimen Loge funktioniert. Unter dem Mantel idealistischen Gedankenguts und allerlei symbolischen Brimboriums mit Orden, Fahnen und pathetischen Riten entwickelte sich eine streng hierarchisch strukturierte Kultur des Gebens und Nehmens, der männerbündelnden Mauschelei und schließlich der ungehemmten Korruption. Der Bestechungsskandal um die Vergabe der Winterspiele 2002 nach Salt Lake City ließ das gargantueske Gebilde platzen, das IOC schien plötzlich am Ende, Samaranch vor dem Absturz.

Den katalanischen Marqués rettete jene Flexibilität, die ihn einst schon vom faschistischen Minister unter Franco zum hofierten Gast der Staatsoberhäupter und Fürstenhäuser dieser Welt mutieren ließ. Samaranch erkannte, dass nur ein deutlicher Kurswechsel sein Lebenswerk bewahren könnte und schwang sich zum Bannerträger einer Säuberung auf, die zehn korrupten Olympiern den Ausschluss brachte. Um seine Reformpolitik gegenüber den unwilligen IOC-Mitgliedern durchzusetzen, deren Privilegien empfindlich beschnitten wurden, stützte er sich auf eine jüngere Funktionärsriege, die er bis dahin eher verabscheut hatte: Nüchterne Technokraten, denen das Geschwätz von olympischen Idealen fern liegt und die den Sport vor allem als etwas begreifen, das möglichst perfekt organisiert und vermarktet werden muss. Der Kanadier Richard Pound zum Beispiel, der Marketing-Spezialist Michael Payne und eben Jacques Rogge.

Indem die IOC-Mitglieder nicht den Koreaner Kim Un Yong wählten, der die Uhr komplett auf alte Samaranch-Zeit zurückdrehen wollte (siehe Artikel unten), sondern den alerten Belgier, trugen sie den alten Geist des umgehend ins Amt des Ehrenpräsidenten transferierten Juan Antonio endgültig zu Grabe. Nicht ohne jedoch zuvor sein Söhnchen Juanito gegen erhebliche Widerstände ins IOC gehievt zu haben.

Rogge, der seinen Chirurgenberuf aufgeben will, um sich, ohne Bezahlung, ausschließlich dem neuen Amt zu widmen, hatte bisher, anders als der robuste Pound, lieber unauffällig gewirkt. In keinen der – bekannt gewordenen – Skandale verwickelt, arbeitete der dreifache Olympiateilnehmer im Segeln in der medizinischen Kommission mit und kümmerte sich um die Organisation der Spiele 2000 in Sydney, wo er wegen seiner umgänglichen Art großen Anklang fand. Zuletzt befasste er sich mit der schwierigen Vorbereitung von Athen 2004, angesichts der chaotischen Verhältnisse im Organisationskomitee deutlich weniger umgänglich. Zu seinem Programm gehört eine Verkleinerung der Spiele, um deren Austragung auch Städten in Afrika oder Südamerika zu ermöglichen. In der Dopingfrage fordert er die Selbstverantwortung des Sports und opponiert vehement gegen die Einmischung der Regierungen.

Hin- und hergerissen zwischen dem Draufgänger Pound und dem gewieften Reaktionär Kim, haben sich die IOC-Mitglieder mit dem diplomatischen Jacques Rogge für den typischen Kompromisskandidaten entschieden. Ein Präsident, der das IOC nicht verändern wird, aber mit Sicherheit geschickter verkaufen. Olympia, das scheint gewiss, wird fortan nicht mehr zelebriert, sondern gemanagt.

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