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Die neuen Verbündeten

Von der Arbeit mit Embryonen distanzieren sich auch GrundlagenforscherInnen. Sie können helfen, die Fragmente der bioethischen Debatte zusammenzufügen

Niemand hat einInteresse daran, dasssich die ForscherInnen insgesamtausgegrenzt fühlen

Dass ausgerechnet die Pläne, mit menschlichen embryonalen Stammzellen zu forschen, in der Bundesrepublik eine bislang beispiellos intensive bioethische Debatte ausgelöst haben, ist in mancherlei Hinsicht überraschend. Denn die wissenschaftlichen Modelle, die den geplanten Experimenten zugrunde liegen, sind komplex und für naturwissenschaftliche Laien kaum nachzuvollziehen. Die Experimente sind Grundlagenforschung – es wird noch lange dauern, bis auf ihrer Grundlage Therapien entstehen können. Außerdem fordert in der Bundesrepublik kaum jemand ernsthaft einen absoluten Lebensschutz für den menschlichen Embryo.

Dennoch macht es Sinn, dass ausgerechnet die Stammzellforschung den Anlass für eine grundlegende Kontroverse über die Methoden und Grenzen der Forschung liefert, in deren Zentrum der Streit über die Instrumentalisierung von menschlichem Leben für menschliches Leben steht. Eine besondere Bedeutung hat dabei das Argument, dass die Regulierung der Forschung Not leidenden Patienten die Aussicht auf Heilung verwehrt. Verhilft dieses Argument der Arbeit mit Stammzellen zum Durchbruch, kann es künftig alles legitimieren.

Denn Stammzellforschung ist nicht nur Grundlagenforschung mit vagen Erfolgsaussichten, sondern eng verknüpft mit dem Klonieren und der Schaffung von Lebewesen, die Gene in sich tragen, die ihrem Organismus fremd sind. Das Klonen und solche „transgenen Lebewesen“ gelten mit Blick auf den Menschen noch allgemein als Tabu. Das aber könnte durchbrochen werden, würde die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen zum Laboralltag. Außerdem gibt es zu den Experimenten mit menschlichen embryonalen Zellen Alternativen. Deren Perspektiven sind zwar ebenfalls ungewiss, keinesfalls aber schlechter. Der Zeitdruck, der in der öffentlichen Debatte produziert wird, hat also Gründe außerhalb der Wissenschaft: Es geht um das Image von Deutschland als Forschungsstandort, und es geht um gute Plätze für deutsche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beim Run auf die internationalen Patente für ihre „Erfindungen“.

Das Erfreuliche an der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen ist, dass dabei die forschungsökonomischen und forschungspolitischen Zusammenhänge deutlicher werden. Auch die wissenschaftlichen Probleme dieser Forschung sind dabei wenigstens ansatzweise thematisiert worden – beispielsweise dass selbst vieles, was in den Stammzelllinien der Mäuse geschieht, beobachtet werden kann, sich aber oft der Wiederholung und meistens dem Verständnis entzieht. Der genaue Blick auf die Experimente vermeidet, dass die öffentliche Auseinandersetzung in einer Ethik-Debatte erstarrt, in der die Auflistung von Werten, die man teilen oder nicht teilen kann, zum entscheidenden Bezugspunkt wird. In dieser Debatte erscheint der konkrete Gegenstand der Kontroverse nämlich rasch bedeutungslos. Wenn sich aber beispielsweise erweisen sollte, dass embryonale Stammzellen von Primaten und vor allem von Menschen länger totipotent sind, also sich zu vollständigen Lebewesen entwickeln können, als es die Experimente mit Mäusen nahe legen, schafft das andere Möglichkeiten für die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen als bislang angenommen.

Damit gewinnen aber auch die Bedenken gegen sie an Substanz. Insofern ist es außerordentlich wichtig, dass in den letzten Wochen auch Wissenschaftler aus den Instituten, in denen entwicklungsbiologische und biochemische Grundlagenforschung betrieben wird, sich öffentlich kritisch zu den Projekten zur Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen geäußert haben. Dass die kritischen Stimmen bislang noch recht vereinzelt klingen, ist nachvollziehbar. Die „scientific community“ hat ihre eigenen Regulationsmechanismen, und die Gefahr ist groß, als Kritiker zum Außenseiter abgestempelt zu werden, der dann schnell Zugriffsmöglichkeiten auf Fördergelder und damit die Möglichkeiten verlieren kann, wissenschaftlich zu arbeiten.

Die biowissenschaftliche Intelligenz muss sich also überlegen, wo sie ihren Platz in der Gesellschaft sieht. Will sie als Elite im gesellschaftlichen Off arbeiten, abhängig nur von sprudelnden Geldquellen und der Aussicht, mit einem großen Durchbruch alle Probleme hinter sich zu lassen? Oder begreift sie sich als gestaltender Teil der Gesellschaft – und akzeptiert damit auch die Notwendigkeit, die eigene Arbeit und ihre Bedingungen öffentlich kontrovers zu verhandeln und regulieren zu lassen? Denn die ethischen Konflikte, die mit ihrer Forschung einhergehen, werden auch in Zukunft nicht geringer, sondern größer.

Das Beispiel gentechnisch hergestellten Humaninsulins zeigt: Selbst wenn sich einzelne, lange Zeit umstrittene Methoden und Verfahren durchsetzen und industrieller Alltag werden können, führt ein solcher vereinzelter Erfolg der Biowissenschaften nicht dazu, dass andere Projekte ihre Legitimation automatisch erreichen.

Das gilt vor allem, wenn die Hoffnungen auf baldige nebenwirkungsarme Therapien sich nicht erfüllen und sich sogar schwere Zwischenfälle ereignen, wie der Tod von Patienten bei gentherapeutischen Experimenten.

Auch für KritikerInnen der Biowissenschaften und der ihr zugrunde liegenden pragmatischen Ethik ändern die gegenwärtige Debatte und die wenn auch bislang nur ansatzweise öffentlich gewordene Kritik aus den eigenen Reihen am Vorpreschen mancher Grundlagenforscher aber etwas. Es zeigt sich, dass eine längerfristige Kooperation mit WissenschaftlerInnen möglich werden und sinnvoll sein kann. An einer sich ausgegrenzt fühlenden Gemeinschaft, die durch einen „Esprit de Labor“ und die Überzeugung, Gutes zu tun, zusammengeschweißt wird, kann keiner ein Interesse haben.

Die biowissenschaftliche Intelligenz muss sich überlegen, wo sie ihren Platz in der Gesellschaft sieht

Und auch den Hoffnungen, die seitens weiter Teile der Gesellschaft in den Fortschritt der Biowissenschaften gesetzt werden, lässt sich, wie sich zeigt, schlecht mit einem kategorischen „Nein!“ begegnen. Dagegen spricht nicht nur, dass das Grundgesetz die Freiheit der Forschung festschreibt und damit der Regulierung von Forschung Grenzen gezogen sind. Wichtiger ist, dass die Biowissenschaften das Bild prägen, dass die Menschheit sich vom Menschen macht: sowohl mit ihren Erfolgen als auch, was meist ausgeblendet wird, in ihrem Scheitern.

Die Ergebnisse, die in den Labors gewonnen werden, haben aber, ohne dass sich Wissenschaftler und Öffentlichkeit das stets bewusst machten, lediglich fragmentarischen Charakter.

Um das Bild komplex und facettenreich zu erhalten, ist es nötig, die Vielzahl der Fragmente zusammenzufügen und ihre Bedeutung zu interpretieren – mit Blick auf den gesellschaftlichen Kontext, in dem die Forschung stattfindet. Das ist aber weder von innen noch von außen alleine zu leisten. OLIVER TOLMEIN

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