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Schach spielen mit Lassie und Garfield

Bei den Dortmunder Schachtagen spielt der Moskauer Wladimir Kramnik seine ganze Genialität aus

BERLIN taz ■ Dass Lassie kein dummer Hund und der fette Garfield ein gerissener Kater ist, lernt man von Kindesbeinen an. Dass sich beide offenbar im Besitz des Russen Wladimir Afromejew befinden, scheint neu. Doch wie anders sollen es sich Schachspieler erklären, wenn der Industrielle prahlt, selbst sein Hund und seine Katze könnten eine Elo-Zahl bekommen? Und das nicht aus bloßer Tierliebe, sondern um seine eigene Rating in der Weltrangliste weiter auf Vordermann zu bringen. Die erreichte im Juli stattliche 2.520 Elo, was dem Niveau eines Großmeisters entspricht. Die Leistungsexplosion mit 47 Jahren lässt einen allemal stutzen, fiel Afromejew doch erstmals international beim Turnier in seiner Heimatstadt Tula auf. Die 13 Runden beendete der Russe ungeschlagen, obwohl er bis dahin eher als durchschnittlicher Vereinsspieler galt.

Der Fabrikant macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen: „Ich will über 2.700 Elo und in die Top Ten“, posaunt er. Bei dem vom US-Mathematiker Arpad Elo entwickelten System gewinnt ein Spieler nur Rating hinzu, nimmt er einem Gegner diese ab. Afromejew verdonnerte deshalb einige Angestellte zum Schach. Da nur Neueinsteiger ihre Wertungszahl erwerben, ohne dem Gegner etwas abzuknöpfen, waren sie rasch mit Elo-Punkten ausgestattet, die anschließend an den Boss abzuliefern waren. Afromejews Chauffeur brachte es sogar zum Meistertitel, ohne zu wissen, wie die Figuren ziehen! Sein Chef dürfte im Herbst Großmeister werden, stoppt ihn bis dahin nicht der Weltverband Fide.

Manipulationen bei Turnieren häufen sich. Zuletzt puschten sich mehrere Schachspieler aus Myanmar in die Top 100, ehe die Fide kollektiv den Akteuren aus dem ehemaligen Birma die Rating kürzte. Alexandru Crisan missriet die erste von vier Bewährungsproben, die ihm die Fide zugestand. Der Rumäne, der sich mit 2.635 Elo auf Platz 46 der Weltrangliste getrickst hat, schaffte in Portoroz (Slowenien) als an Nummer drei gesetzter Spieler nur ein Remis und kassierte acht Niederlagen.

Mit rechten Dingen geht es hingegen bei den deutschen Turnieren zu. Zwar mangelt es an einem Jan Ullrich auf den 64 Feldern, aber zumindest als Ausrichter ist Deutschland Weltspitze, was gerade wieder bei den Dortmunder Schachtagen bewiesen wird, die im nächsten Jahr zur WM-Qualifikation aufgewertet werden, 2004 soll gar das WM-Finale folgen. Durch den gewitzten Zug wird der Weltranglistenerste Garri Kasparow erstmals seit 1993 ohne sechsstellige Gage ans Brett im Opernhaus gezwungen, will der 38-Jährige seinen Titel von Wladimir Kramnik zurück.

Die Pause des Braingames-Weltmeisters wird Dortmund gut tun. Bei seinem Lieblingsturnier siegte Kramnik seit 1995 fünfmal. Auch diesmal führt der 26-jährige Moskauer zur Halbzeit mit 3,5:1,5 Punkten vor Peter Leko (Ungarn) und Wesselin Topalow (Bulgarien/beide 3). Fide-Weltmeister Viswanathan Anand ist völlig außer Form, remisierte vier Partien und unterlag Topalow. Der Inder teilt nach der Vorrunde mit dem Russen Alexander Morosewitsch (beide 2) nur Platz vier vor Schlusslicht Michael Adams (England/1,5).

Seit Kramnik Bier und Zigaretten entsagt, spielt der Stoiker noch genialer. Dies bekam besonders der Weltranglistenvierte Morosewitsch zu spüren. In dieser Form braucht Kramnik im Gegensatz zu seinem Namensvetter Wladimir Afromejew weder einen Delfin namens Flipper noch ein Pferd wie Fury, um seine Elo-Zahl von 2.802 in noch höhere Gefilde galoppieren zu lassen. HARTMUT METZ

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