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Der überklebte Noteingang

Kreuzberger SchülerInnen wollen bei Projekttagen die Aktion Noteingang promoten – und laufen gegen verschlossene Türen. Die Initiatoren der Aktion sind darüber gar nicht so unglücklich. Denn einfaches Kopieren ohne Diskussion schade ihrer Idee

von CHRISTIAN TERIETE

Die SchülerInnen des Kreuzberger Hermann-Hesse-Gymnasiums sind enttäuscht. Im Rahmen ihrer Projekttage wollten sie Anfang der Woche mal wirklich was tun, sich konkret gegen rassistische Gewalt engagieren. Aber kaum jemand ließ sie. „Wir wollten in Kreuzberg Aufkleber der Aktion Noteingang verteilen“, berichtet Malisa Zobel aus der Klasse 10. In den meisten Läden habe das Personal jedoch ablehnend reagiert. „Wir wurden vertröstet oder abgewimmelt“, sagt Malisa.

Auf den Aufklebern steht in mehreren Sprachen der Satz: „Wir bieten Schutz vor rassistischen Übergriffen!“ Malisa gefiel die Idee, Geschäfte in der Nachbarschaft zu Fluchtburgen für mögliche Gewaltopfer zu machen. Deshalb meldete sich die Schülerin mit anderen Interessierten aus verschiedenen Altersklassen zu den Projekttagen für die Arbeitsgruppe „Rassismus/Nationalsozialismus“.

Zu Wochenbeginn machten sich die Mitglieder mit ihren Aufklebern auf den Weg durch Kreuzberg und Friedrichshain. „Wir haben 15 Läden besucht“, berichtet Malisa, „doch nur vier wollten Aufkleber.“

In einigen Läden hätte das Personal darauf bestanden, zunächst mit dem Chef über die Aufkleber zu sprechen. „Ein Juwelier wollte sich total doof rausreden“, ärgert sich Malisa. Nach einiger Diskussion habe er schließlich seine Befürchtung zugegeben, durch einen Aufkleber möglicherweise Kunden zu verlieren. Der Inhaber eines Reisebüros habe aus Furcht vor Sachbeschädigung abgelehnt. „Mir haben sie schon mal die Schaufenster eingeschlagen“, zitiert Schülerin Malisa seine Begründung.

Knut Sören Steinkopf vom Demokratischen Jugendforum Brandenburg in Bernau kennt diese Argumente. Er war 1998 dabei, als die Aktion Noteingang ins Leben gerufen wurde. Die Aktivisten schickten damals Fragebögen an 1.000 Ladenbesitzer, Kneipenbetreiber und soziale Einrichtungen. 500 kamen ausgefüllt zurück.

„200 Befragte wollten Aufkleber an ihrer Ladentür anbringen“, sagt Steinkopf. Die übrigen 300 hätten ihre Ablehnung mit der Angst vor Sachbeschädigung und Kundenverlust begründet. „Einige gaben damals auch an, in der Aktion keinen Sinn zu sehen, oder sich nicht eindeutig gegen Rassismus und Faschismus positionieren zu wollen“, bedauert der Aktivist.

Dieselbe Erfahrung mussten Malisa und ihre Mitschüler machen. Selbst beim Bezirksamt in der Frankfurter Allee rannten sie gegen verschlossene Türen. Dort habe ein Mitarbeiter die Anbringung des orangenen Aufklebers mit der Begründung abgelehnt, er sei in Sachen Optik „verwirrend“ und „unvorteilhaft“. Man könne ihn nämlich mit dem Zeichen für „Notausgang“ verwechseln. Malisa nennt diese Begründung „fadenscheinig“.

Steinkopf sind solche Ausreden aber immer noch lieber als Ladeninhaber, die den Sticker zwar anbringen, die Aktion aber nicht ernst nehmen. „Viele brauchen den für ihr gutes Gewissen“, vermutet er und bemängelt die fehlende Auseinandersetzung mit der Problematik. „Ursprünglich haben wir mit der Aktion Noteingang eine breite Diskussion mit der bürgerlichen Mitte bezweckt“, sagt Steinkopf. Trittbrettfahrer hätten jedoch zur Entpolitisierung der Aktion beigetragen.

Das war im vergangenen Jahr, nachdem die Initiative den Aachener Friedenspreis erhalten hatte. Vielerorts wurde die Idee mit dem Aufkleber daraufhin kopiert. Die Texte auf den Stickern hatten dabei mit Rassismus oder Faschismus häufig nichts mehr zu tun. „Wir bieten Schutz vor linksextremistischen Übergriffen“, schrieb beispielsweise die Junge Union Kreuzberg auf ihren Gegenaufkleber.

Den Bernauern entglitt die Kontrolle aber selbst über ihre Originalaufkleber. Die Apothekerinnung bestellte gleich 1.000 Stück. Auf jedem Fahrzeug der BVG prangt einer, ebenso auf den 100 Filialen der Mittelbrandenburgischen Sparkasse. Alle 16 Jugendherbergen in Berlin und Brandenburg haben einen Noteingang, und sogar das KaDeWe macht mit. Zuletzt hat der Schering-Konzern seine Werkstore zu Noteingängen erklärt.

Doch Steinkopf kann sich darüber nicht so recht freuen und spricht mit großem Befremden von „Sinnentleerung“. Die Erfindung seiner Initiative droht zum schmückenden Beiwerk für politisch korrekte Imagekonzepte zu verkommen. Dabei sollten die Aufkleber eigentlich zum Nachdenken und zu Engagement motivieren.

Immerhin haben die Mitarbeiter im Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain nun nachgedacht. Sie wollen jetzt doch einen Aufkleber an ihre Eingangstür kleben.

Auf Nachfrage der taz erklärte Mitarbeiter Sven Kunther, der Malisa zunächst noch enttäuscht hatte: „Wir haben uns nach langer Diskussion im Hause für einen Noteingang entschieden.“ Zunächst habe es dagegen jedoch einige Bedenken gegeben. „Wir wollen einfach niemanden mit so einem Aufkleber in die Irre führen“, sagte Kunther. Nachts seien die Eingänge des Bezirksamts nämlich verschlossen. Tagsüber stehen sie aber offen und sollen in Zukunft Schutz bieten. Vor rassistischen Übergriffen. Malisa freut sich.

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