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Das Soldaten schluckende Moor

Im Stapeler Moor zwischen Leer und Oldenburg sind nicht nur Soldaten und Traktoren versunken. Vor allem hat es seine Bewohner ernährt und wurde daraufhin immer kleiner. Eine Wanderung mit einem alten Moorbewohner

Meine erste Begegnung mit dem Stapeler Moor war keine angenehme. Der sonst so langweilige Ausflug mit Eltern und Brüdern nahm eines Sonntags sein jähes Ende in wildem Gebiet. Mein Vater hatte versucht, den Opel zu wenden und war vom Feldweg abgekommen. Die Räder drehten durch, wir saßen fest. Mitten im Moor.

Die Angst vor Kreuzottern und alles verschlingendem Sumpf half nicht, wir mussten trotzdem aussteigen. Nach allen Seiten ausspähend, verharrte ich schreckerstarrt auf dem schmalen Sandweg und hoffte auf ein, zwei Wunder. Doch die dauern gewöhnlich etwas länger, und so mussten wir die Einöde aushalten, bis ein Bauer in der Nähe seinen Traktor anwarf und uns wieder aus dem Sumpf zog. Nie wieder, schwor ich damals, würde ich mich freiwillig einem Moor nähern. Nun, das ist lange her.

Fünfundzwanzig Jahre später scheint das Moor nicht mehr ganz so unheimlich, und die Geschichten von Moorleichen und gefährlichen Schlangen jagen höchstens den eigenen Kindern Angst ein. Im Gegenteil: Als bedrohte Landschaft verursacht das Moor heute eher Mitleid. Ausgebeutet und urbar gemacht, ist es oftmals kaum noch wiederzuerkennen. Birkenwälder überziehen seinen Rücken, gebietsfremde Pflanzen wie die Heide breiten sich aus, Mooreidechsen verschwinden. Dafür äsen Rehe, und Jäger gehen nachts auf die Pirsch, ohne durch einen Fehltritt in die ewigen Jagdgründe einzugehen.

Moore gab es in Deutschland früher wie Sand am Meer. Im Norden waren es vor allem Hochmoore, die sich, umgeben von sandigen Geestrücken, bildeten. Ein undurchlässiger Untergrund sorgte dafür, dass Binnenteiche entstanden. Pflanzen wurden zu Faulschlamm, der wiederum ergab den Sumpf, in dem Mann und Maus öfters versanken. So auch im Oldenburger Land. Wo sich zwischen Friesoythe und Neuenburg bis ins 18. Jahrhundert fast vierzig Kilometer lang eine sumpfige, baumlose Einöde streckte, reiht sich heute eine Baumschule an die andere. Rhododendron gedeiht hier hervorragend und wächst in jedem Vorgarten. Wer keine Bäume züchtet, hält Kühe.

Ein kleiner Rest vom Stapeler Hochmoor ist noch übrig und nennt sich jetzt Wiedervernässungsgebiet. Das jedenfalls steht auf den Schildern rund um das Moor und bedeutet nichts anderes, als dass wieder werden soll, was war. Deshalb lässt die Naturschutzbehörde Entwässerungsgräben zuschütten, deshalb darf keiner die seltenen Pflanzen rupfen. Hier wird kein Torf mehr gestochen sondern Sonnentau gepflegt, eine fleischfressende Pflanze, die sich von Fliegen und Mücken ernährt.

Die gibt es reichlich, seit die Gegend wieder feuchter wird. Bauer Georg Streekmann fürchtet sogar, dass eines Tages wieder Malaria ausbrechen könnte und die Insekten die Oberhand gewinnen. „Aber dann lebe ich nicht mehr“, schmunzelt der Siebzigjährige, der regelmäßig Schulklassen und Naturkundler durch das Stapeler Moor lotst. Gerne erzählt er unterwegs von seiner Kindheit und Jugend im Moor, damals, als Hitler Strafgefangene Entwässerungsgräben ziehen ließ. Eines Tages stürzte ein britischer Flieger in den Sumpf. Die Insassen, die sich mit Fallschirmen zu retten versucht hatten, steckten mit dem Kopf zuerst im Moor und mussten an den Stiefeln herausgezogen werden. Kein Zuckerschlecken für einen Vierzehnjährigen.

Tarbarg, das Dorf in dem Streekmann zu Hause ist, hat gerade etwas über siebzig Jahre auf dem Buckel. Eine junge Ortschaft mit kleinen backsteinernen Siedlerhäuschen, keine Kirche, dafür ein Dorfgemeinschaftshaus mit Spielplatz.

Vom Torfstich lebt hier schon lange keiner mehr. Die meisten Bewohner pendeln in die umliegenden Städte oder leben als Bauern auf ihrer Scholle.

Milchwirtschaft. Kühe so weit das Auge reicht, dazwischen Stacheldraht. Jeder Bauer hat sein Feld fein säuberlich umspannt. Im Winter, wenn die Viecher im Stall sind, lässt sich ein vortreffliches Hindernisrennen über die Kuhweiden veranstalten. Im restlichen Jahr sollte man sich besser fernhalten vom Agrargebiet. Von Frühjahr bis Herbst wird Gülle ausgefahren, und selbst weit im Moor zieht einem der Gestank in die Nase. Zu allem Übel stürzen sich auch noch zu allen möglichen Tageszeiten Tiefflieger von oben herab. Der Militärflugplatz Upjever ist nicht weit.

Von unberührter Natur kann da nur in Ansätzen die Rede sein. Allein schon deshalb, weil die Wiederherstellung eines Hochmoores wie dieses viele tausend Jahre dauert. Gerade mal einen Millimeter pro Jahr wächst die Faulschicht, die irgendwann zum alles verschlingenden Sumpf wird. Früher war das Stapeler Moor bis zu sechs Meter tief. In den Dreißigerjahren begann dann der Torfstich, Arbeitslose aus den Städten der Umgebung besiedelten das Land und versuchten ihr Glück mit der Landwirtschaft. Kein leichtes Unterfangen, denn trotz Drainage standen die Äcker regelmäßig unter Wasser. Da war der Torfabbau ein besseres Geschäft. Sogar Strom wurde mit dem Heizstoff gewonnen. Ein Kraftwerk in Wiesmoor versorgte auf diese Weise die Umgebung.

Wollgras, Gagelstrauch, Binsen und Heide bewachsen neben dem Sonnentau den kargen Boden. Schaut man in die Ferne, versperren einzelne Moorbirken den Blick. Ein ausgewachsener Hase wechselt über den Weg. Streekmann, der Moorfreund, weist den Weg. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche, zupft hier ein Kraut und zeigt dort ein Gräslein. Zum Beispiel das Pfeifengras. Wurde früher zu Staubwedeln gebündelt und auf dem Markt verkauft. Mit Heide wurden Töpfe ausgekratzt, der Gagelstrauch half gegen Insekten. Allein vom Sonnentau profitiert noch heute die Menschheit. Die Pharmaindustrie macht Medizin gegen Husten und Asthma daraus.

Vorsichtig setzen wir Schritt vor Schritt, sehen am Horizont riesige Bagger, die zuschaufeln, was die Strafgefangenen einst von Hand geschaffen hatten. Gelenkt von der Naturschutzbehörde. Bremsen und Mücken stechen gnadenlos in jedes nackte Körperteil. Irgendwo tummeln sich Kreuzottern, leider kriegen wir keine zu sehen. Aber es wächst eine Ahnung davon, wie wild und gnadenlos das Moor einmal war. Und wieder werden könnte. CHRISTINE BERGER

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