Ausschließlich Oberfläche

Hochgezüchtete Posen: Starfotograf Helmut Newton im Museum für Kunst und Gewerbe  ■ Von Hajo Schiff

Kaum glaubhaft, dass der braungebrannte Mann, der da frisch und amüsant Anekdoten erzählt, schon 81 Jahre zählt. Anscheinend hält ein Leben in Kalifornien und Neugier auf wenig bekleidete Frauen jung. Denn der liebenswürdige Herr, der da in berlinerisch gefärbter und mit amerikanischen Brocken durchsetzter Sprache vor den Medien hofhält, ist Helmut Newton. Der einflussreiche Fotograf gibt charmant Statements von sich, die längst gedruckt vorliegen. Ohne wirklich einen tieferen Einblick zu geben, was ihn zu seinem ebenso umfangreichen wie manchmal umstrittenen Werk trieb, bleibt er auch auf der Pressekonferenz zu seiner Hamburger Ausstellung an der Oberfläche. Und das ist ja gerade typisch: Auch seine Fotos sind ausschließlich Oberfläche.

Eine Retrospektive sollte die vom „Projekt Deutsches Zentrum für Photographie der Staatlichen Museen zu Berlin“ zusammengestellte Schau von etwa 300 Arbeiten nicht sein, das klänge ja so, als sei er schon verstorben und dazu habe er noch viel zu viel vor, meint Newton. Und so heißt die von der Berliner Nationalgalerie übernommene, von June Newton kuratierte, hier aber vom Fotosammler und Modefotografenkollegen F.C. Gundlach den Räumen des Museums für Kunst und Gewerbe angepasste Schau schlicht „Work“.

Die Ausstellung trennt nicht zwischen Auftragsarbeiten der Vogue und anderen Fotos. So sind neben viel elegant garnierter nackter Frauenhaut auch die Berliner Mauer bei Nacht und der schottische Bulle Fred raumdominierend in leichter Untersicht zu sehen. Helmut Newton hat sich immer für die Macht und das Leben der schönen Reichen hinter den hohen Mauern interessiert. Doch seine auf den ersten Blick verführerischen Bilder luxurierender Erotik stellen sich bald als nackte Langweile heraus, deren Oberflächlichkeit mit Schaufensterpuppenund anderen Lebensprothesen genauso gut inszeniert werden kann. Sind da nicht die Bilder barocker Menschenpräparate und gar die Röntgenaufnahmen bloße Attitüde, auch wenn es heißt, Newton habe mal sehen wollen, „was sich hinter all dem Fleisch verbirgt“? Gar nichts, großer Meisterfotograf, all die schönen Verpackungen in deiner Umgebung sind entweder leer oder durch den Blick allein nicht zu enträtseln. Da gibt es das „Walking Woman“ betitelte Bild schon aus den 70er Jahren: Links neben einer ernst und gerade ihren Weg gehenden Frau ist ein Fotograf mit Kamera vor dem Auge im Luftsprung begriffen ... und dieser verkrampfte Versuch, neue Sichtweisen zu finden, hat schon etwas Lächerliches.

Vielleicht deshalb gibt es für Newton noch einen ganz anderen Arbeitsbereich: das Porträt. Und da schafft der Fotograf intensive Bilder der Berühmten wie Andy Warhol und Gerhard Schröder, Faye Dunaway und Anthony Hopkins – aber auch erstaunlich oft der eher Berüchtigten wie Jean Marie Le Pen, Kurt Waldheim oder Leni Riefenstahl.

Auch die berühmten „Big Nudes“ aus den 80er Jahren sind zu sehen und sie gelten in ihrer Dominanz als Bilder einer neuen weiblichen Selbstsicherheit. Doch sicher bedient eine Ausstellung wie diese auch den Voyeurismus. Und manche Bilder inszenieren Posen, die mit faschistischen, vielleicht eher mafiösen Attitüden und möglicher Gewalt spielen. Doch keine Angst, Lack und Leder werden hier von gut bezahlten Profis der Darstellung vorgeführt und das ist weit weniger gefährlich, als das, was auch nur in einem Hinterzimmer der Reeperbahn läuft. Newtons Fotos seien „sexistische, rassistische und faschistische Propaganda“, befand einst Alice Schwarzer – und vergaß das wichtigste Stilmittel dieser Bilder: Ihre hochgezüchtete Künstlichkeit. In jedem Augenblick ist klar, diese hier abgebildete Welt gibt es gar nicht, sie ist bloß Pose einer geldverschlingenden Chimäre.

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, bis 9. September. Katalog im Taschen-Verlag, 280 Seiten, 49,95 Mark