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Drogenproblem? Es gibt sie doch überall zu kaufen. Ted Demmes „Blow“ erzählt die wahre Geschichte von George Jung, der in den 70er-Jahren den amerikanischen Kokainmarkt kontrollierte. Franka Potente, die an Johnny Depps Seite ihren Auftritt hat, tut die Befreiung aus der Tykwer-Zange gut

„Blow“ ist so traurig, wie eine „wahre Geschichte“ nur sein kann, aber längst nicht traurig genug

von MANFRED HERMES

Ein-Wort-Titel spielen auf vieles an, wollen sich aber auch vieles offen lassen, und das gilt auch für Ted Demmes „Blow“. Wenn da also auf die Welt der Drogen angespielt wird, dann führt das mindestens halbwegs in die Irre. Denn neben dem Drogenthema werden noch zwei weitere, und zwar weit weniger heiße Aufhänger benötigt. „Blow“ erzählt von der Besetzung ökonomischer Räume und stellt nebenbei die Behauptung auf, dass ohne Familienanschluss im Grunde gar nichts geht.

George Jung (Johnny Depp) wächst in einer Zeit des „gesellschaftlichen Umbruchs“ auf. Seine Eltern sind arm, die Mutter geldgeil und kühl, der Vater bescheiden und liebevoll. Sein beruflicher Misserfolg wird zum Mahnmal des Sohnes: Ich will niemals arm sein, nicht wie meine Eltern werden. Ich will nicht Fünfziger-, sondern Sechzigerjahre sein! Die Fünfziger sind Vorstadt und Bier, die Sechziger Strand und Gras. Kaum hat Jung an seinem ersten Joint gesaugt, erkennt er ein Potenzial. Drogen sind teuer, jeder will mal, und so wird aus einer Lebensweise eine Geschäftsidee.

Partner findet Jung schnell, erst im In-, dann im Ausland. Schon bald wird das Geld in Stapeln gelagert. Dann wird die Produktpalette um Kokain erweitert, das noch teurer und noch verbotener ist und also auch das Leben noch stärker dynamisiert: Helikopter, Escobar und sein Medellín-Kartell, Partys, schöne Frauen und Verrat.

Erst geht es aufwärts, dann abwärts, dann wieder aufwärts, allerdings hat die Kurve eine eher nach unten zeigende Tendenz. Damit folgt Demmes Film der Biografie des Kokaindealers George Jung, der in den Siebzigerjahren den amerikanischen Kokainmarkt kontrollierte und voraussichtlich noch bis 2014 im Gefängnis sitzen wird. „Blow“ ist so traurig, wie eine „wahre Geschichte“ nur sein kann, aber längst nicht traurig genug. Denn dem Totalverlust der Jugend, des Geldes, von Macht bleibt als Gegenüber immer die biologische Familie erhalten. Einerseits wachsen Söhne heran, werden selbst zu Vätern und treten aus ihrer rebellischen Phase nahtlos in die Weisheit der Generationenfolge ein. Andererseits bleiben die Eltern bis zum Ende ihrer Tage als Instanz erhalten. In „Blow“ vertreten sie die erzieherische Idee von staatlicher Ordnung gleich so überzeugt, dass es die Mutter ist, die den Sohn ins Gefängnis bringt.

Dieser scheußlichen Ordnung unterliegt George Jung ein halbes Jahrhundert lang. Darüber wird der Film fast zum Epos, in jedem Fall aber zu einer Herausforderung für den Maskenbilder. Jungs Haut vergilbt, die Augen werden blass und die Haare lang, weniger lang oder kurz getragen. Unter seiner Kollektion struppiger Hauben wirkt Johnny Depp aber vor allem eines: unendlich verloren. Diese Verlorenheit könnte aber auch die des Films sein, dem es nicht gelingt, aus einer Art Loop-Dramaturgie herauszukommen. Einen suggestiven Satz gibt es aber schon: „Kokain fiel wie eine Atombombe auf dieses Land.“ Nun hätte man allerdings gerne gewusst, was die Konsequenzen dieses Abwurfs waren. Gab es auf einmal neue Menschen? Ist mehr oder andere Musik geschrieben worden? Hat sich die Film- und TV- Industrie auf neue Bahnen bewegt? Letzteres könnte zutreffen.

Zum Beispiel wurde in den Achtzigerjahren „Pee-Wee’s Playhouse“ produziert und fiel tatsächlich wie eine Bombe, und zwar eine des Camp und Surrealismus, in zunächst amerikanische Kinderzimmer. Die quengelige, newwavige Kunstfigur Pee-Wee Herman moderierte eine Show, in der cartoonige Türgriffe und Wecker genauso wichtig waren wie die Stargäste vom Rang einer Dolly Parton. 1991 fand diese Serie allerdings ein jähes Ende. Der Pee-Wee-Darsteller Paul Reuben wurde im Pornokino seiner Heimatstadt aufgegriffen, öffentliche Onanie wurde sein Schicksal. Mit „Blow“ hat das alles deshalb zu tun, weil Reuben nach Jahren der Verbannung nun wieder als Nebendarsteller auftaucht – in „Blow“ spielt er einen tuntigen Westküsten-Dealer.

Da wir schon bei der Besetzung sind, dürfen wir natürlich Franka Potente nicht vergessen. An ihrem Auftritt ist vor allem der faszinierende V-Effekt des aus seinem bisherigen Kontext in einen US-Film transplantierten Schauspielers interessant. Potente hat diese Entstellung im Übrigen gut getan. Aus der Tykwer-Zange betonter Einfalt befreit, wird aus ihr hier ganz einfach das Bild einer jungen Frau mit einem fast deftigen, käseartigen Schmelz. Deutsche Exotik war dabei gar nicht gefragt; Potentes Akzent wurde vom Sprachtrainer restlos weggebügelt.

Und was ist nun die Moral von der Geschicht? Mit Drogen handeln lohnt sich nicht? Ja und nein. Denn in dieser Frage bleibt der Film erstaunlich unentschieden. Der Umweg zur Selbsterfindung ist vor allem mit unhintergehbaren Werten gepflastert: Freies Unternehmertum und Familiensinn tanzen hier einen ziemlich republikanischen Tanz.

„Blow“. Regie: Ted Demme. Mit Johnny Depp, Penelope Cruz, Ray Liotta, Franka Potente u. a., USA 2001, 124 Min.