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Ostkauz mit Oberschmäh

Ein Pass in den tiefen Raum der Verklärung: Borussia Mönchengladbach will mit dem ligaältesten Trainerneuling, Hans Meyer, und dem vereinstreuesten Bundesligaspieler den Klassenerhalt schaffen

von BERND MÜLLENDER

Borussia ist wieder da. Das ist sehr traurig – für die Clubs in der 2. Liga, denen das größte Zugpferd weggelaufen ist. Aber sonst begrüßen fast alle die Rückkehr nach zwei langen Jahren Zweitligaversenkung. Schon aus nostalgischem Reflex und der Erinnerung an Netzers Geist der Utopie aus den Räumen der Verklärung. Seien wir realistisch: Borussia Mönchengladbach ist auch als Mythos eine Unterhaltungsfirma wie die 17 anderen Clubs der Liga.

Allerdings hat der Club eine neue Legende im Gepäck: Trainer Hans Meyer, in der DDR einst sehr erfolgreich etwa mit Carl-Zeiss Jena (Europapokalfinale 1981), dann vier Jahre als hochbeliebter Duitsland-Import bei Twente Enschede, jetzt mit reifen 58 Jahren vor seiner Bundesligapremiere. Ein Mann von Witz und Selbstironie, knorrig, brummig, manchmal erfrischend zynisch, den Schalk im Nacken und stets irgendwas Zitierfähiges auf der Zunge. Am Montag wurden ihm passive Kontakte zur Stasi nachgereicht – es spricht für Meyers hohen Glaubwürdigkeitsbonus, dass er die Vorwürfe argumentativ und offensiv beiseite räumen konnte und sie da auch blieben.

Meyers Masche ist seine spaßige, intelligente Unberechenbarkeit. Dass man nie weiß, was er ernst meint. Manchmal weiß er es selbst nicht. „Die Möglichkeiten der Trainer werden überbewertet.“ Er sei doch „nur ein Passant, der den Verein ein Stück begleitet“ und Fußball eigentlich „nur eine Bagatelle“ im Leben. Gern kokettiert Meyer damit missverstanden zu werden. Sogar von sich selbst. Als er erklären will, wie seine Viererkette in bestimmten Situation zur Dreierkette wird, reicht es ihm irgendwann: „Das ist alles schon sehr kompliziert. Ich verstehe es manchmal selbst nicht.“

Meyer hat einen funktionierenden Teamverbund beisammen, ohne Stars, dafür mit einem kopfballstarken Knipser wie Arie van Lent, der immer für ein Tor gut ist. Zwölf Mann im Kader kennen die Bundesliga. Die Zerstörungsqualität der Defensivabteilung, bei Aufsteigern wichtiger als filigrane Offensivkunst, scheint durchaus erstligareif. Erfolgreich zweikämpft der Geist des Realismus: Neben Borussias Grätschengott Max Eberl und Gelbkartensammler Steffen Korell sieht besonders Innenverteidiger Marcelo Pletsch seinen Lebenszweck in der Beweisführung, dass nicht jeder Brasilianer ein Freund des Balles sein muss. Hinter U-21-Angreifer Benjamin Auer war angeblich halb Europa her; jetzt sind dem armen Kerl in der Vorbereitung die Bänder gerissen; er wird ein halbes Jahr ausfallen – aber wenigstens bleiben.

Die Neuzugänge scheinen stammelffähig: Markus Münch (von Beșiktaș Istanbul) ist neben dem tschechischen Internationalen Ivo Ulich der prominenteste. Momentan drückt allerdings ein Torwartproblem: Senior Uwe Kamps (37), der vereinstreueste Ligaveteran (hechtet seit 1982 für die Borussen), wird mit der Reha nicht fertig, Ex-1860er Bernd Meier hat nicht das uneingeschränkte Vertrauen im Club. Ob wer einen Stammplatz sicher habe? „Sicher ist nur der Trainer“, sagt der Trainer, „aber auch das nur für die ersten zwei Spiele.“

Wichtiger als Trainingsleitung scheint Meyer sein eigenes, gern groteskes Spiel mit den Medien. Er tut stets so, als nervten ihn die Presserituale. In Wahrheit liebt er seine Charme-Mützel mit den Medien. „Das Trainer-Unikum“ (Express) weiß die Lacher immer auf seiner Seite, was im Falle sportlicher Durststrecken die Gefahr verringert, vorschnell angegriffen zu werden. Meyers verschrobene Sätze geben ihm eine Art Aura der Unangreifbarkeit, im Winter ist die streng modefreie Wollmütze sein zusätzliches Schild.

Es gebe in Gladbach, schrieb einmal diese Zeitung, „keine Pressekonferenzen mehr, sondern nur noch Late-night-shows“. Und selbst Springers Welt kann sich mit dem komischen Ostkauz anfreunden; sogar wenn er mit Kölns Ewald Lienen, dem anderen politisch verdächtigen Trainer, gemeinsam auftritt: „Lienen, in den 80er-Jahren in der links-alternativen Szene aktiv, und der im Sozialismus aufgewachsene Meyer“, schrieb das Blatt bewundernd nach einem Zweitligamatch, „spielten einen verbalen Doppelpass, der stark an das US-Komikerduo Walter Matthau und Jack Lemmon erinnerte.“

Borussia Meyergladbach. Der knurrige Coach saugt wie ein Schwamm alle Aufmerksamkeit. Das nimmt den Kickern in Fußballs Medienwelt etwas Stress. Zu Zweitligazeiten sagte Meyer gern: „Unser Ziel ist es, das Risiko des Nichtaufstiegs zu minimieren.“ Jetzt gilt es, die Chance des Klassenerhalts zu maximieren. Das kann klappen. Meyer will „gut gewappnet an die Sache rangehen“. Vielleicht schaut auch das spielerisch glorreiche Gestern mal wieder auf den Bökelberg vorbei.

Den übrigens gibt es nicht mehr lange. 2004 soll das neue Stadion bezugsfähig sein. Meyer spricht übrigens vom mittelfristigen Ziel Uefa-Cup. Ernsthaft? Das erste Vorbereitungs- und Qualifikationsspiel auf dem Weg nach Europa ist am Samstag gegen die Münchner Bayern. Ernsthaft.

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