Naive Analyse

betr.: „Der Gezähmte“ (Stephan-Singer-Portrait), taz vom 21./22. 7. 01

[. . .] Offensichtlich werden außerordentliches Engagement und die richtige Einstellung beruflich belohnt. Wer weiß, vielleicht wird Singer ja noch von einer Partei für einen hohen politischen Posten engagiert, wo er auch nichts anderes machen würde als bisher. [. . .] Endlich verstehe ich auch, warum das neoliberale Klimaprotokoll von Kioto in den letzten Jahren so wenig von Umweltorganisationen kritisiert wurde. [. . .]

Der Glaube an den funktionierenden Staat (der die eigenen Emissionen protokolliert und sich selbst unter Zugzwang setzt) und an die magischen Marktkräfte des Handels mit Emissionsrechten zeugt von einer viel zu naiven Analyse der internationalen umweltpolitischen Situation. Für abgehobene Diplomaten im Auftrag ihrer Regierungen mag dieser Glaube ausreichen, selbst ernannte Klimaschützer übernehmen aber eine große Verantwortung. Da nützt es auch nichts, sich hinter dem Buhmann USA zu verstecken. Als ehemaligem „Entwicklungsexperten“ sollte Singer klar sein, dass eine falsche Analyse eines Problems bestenfalls zum Misserfolg einer entwicklungspolitischen Maßnahme führen wird. Auf des Kioto-Protokoll übertragen heißt das:

Ein völkerrechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen lässt sich nicht mal eben gegen die ökonomische und politische Megastruktur der Kohle-, Gas- und Erdölförderinteressen in Industrie- und Opec-Ländern rechtsverbindlich durchsetzen. Wenn diese Einigung nur möglich war, wenn viele Staaten zu Gewinnern eines Emissionshandels werden, hat sich das Partikularinteresse eines jeden Staates durchgesetzt, möglichst wenig in den Klimaschutz zu investieren. Weniger Treibhausgase werden aber nicht durch den Emissionshandel ausgestoßen, sondern ihre tatsächliche Verringerung erfolgt z. B. durch den massiven Einsatz von regenerativen Energieträgern wie Sonne, Wind, Wellen und Wasser.

Dass die USA und die Opec-Staaten sich im Kioto-Prozess mit in das gemeinsame Boot nehmen und sich anschließend unter Druck setzen lassen würden, ist nur bei einem Überschuss an politökonomischer und völkerrechtlicher Weltfremdheit anzunehmen. Oder mit dem diplomatischen Credo, das besagt, dass jeder Kompromiss besser als ein Scheitern aller bisherigen Verhandlungen ist. Die Frage, ob der Druck auf die USA und andere „CO2-Schurkenstaaten“ nicht auch auf einem anderen Weg hätte erreicht werden können, ist natürlich stark hypothetisch, wird sich aber dann stellen, wenn der Kiotoprozess keine wirkliche Verringerung bringen wird. Von einer multinationalen Umweltorganisation wie dem WWF kann aber erwartet werden, dass die mit dem Emissionshandel und ihrer Kontrolle verbundenen Probleme in den Medien auch transportiert werden, wenn man sich schon zum Sprecher der europäischen Umweltinteressen aufschwingt.

[. . .] Ich denke, es handelt sich bei Singers „Zähmung“ am ehesten um das Kohortenverhalten einer Generation, die Zugang zu den Fleischtöpfen und die soziale Anerkennung gefunden hat. [. . .] Kritische Analyse und Positionen nehmen bekanntermaßen in dem Maße ab, wie man politisch anerkannt und in die Gesellschaft eingebunden ist. TORSTEN BÜNNING