peter unfried über Charts : Er zeugte sieben Kinder in einer Nacht
Kein anständiger Mensch kennt Grand-Prix-Lieder. Klar. Doch wenn der Papst anruft, beginnt das Ringen um Ehrlichkeit
OUT Neulich rief mich der berühmte deutsche Grand-Prix-Papst an. „Hallo!“ – „Ja?“ – Genug geschwätzt. „Ich will deine Alltime-Eurovisions-Top-Ten“, säuselte er bellend. „Du hast bis Ende Juli Zeit.“
Zack, aufgelegt.
Quid? Quod? Wollte er mich bloß testen? Oder schrieb er mal wieder eine neue Grand-Prix-Enzyklika? Keine Zeit, irgendetwas zu fragen. Das machte der Papst immer so. Raffiniert.
So. Seither sitze ich da.
Alltime-Eurovisions-Top-Ten? Im Juli? Ich habe ja nun in meinem langen Leben natürlich schon einiges gerankt, zuletzt aus purer Lust am Postfeminismus den Feldbusch-Faktor der Kolleginnen im Betrieb (siehe schwarzes Brett).
Natürlich könnte ich problemlos die wichtigsten Sommersongs ranken, die schlechtesten Songs der Beatles (alle von George Harrison) oder endlos die lange Geschichte der wichtigsten Songs in meinem Leben und ihren Zusammenhang mit potenziellen und tatsächlichen Diskussions- bzw. Geschlechtsverkehrpartnerinnen runterzählen („Our Songs“). Ohne Übertreibung: Auch unter strengsten Qualitätskriterien käme da schnell eine Top-Fünf zustande.
Ein Grand-Prix-Song ist da allerdings nicht dabei. Wie auch?
„Liebling, hör mal, sie spielen unser Lied.“ Und dann schaute man sich in die Augen, Kleines, wie Cindy und Bert anno 1974? Vereinte die Pflugscharen zu den Klängen von „Ein bisschen Frieden“ (1982)? Oder unsere Jugend: Unternahm sie erste anatomische Untersuchungen zu den Klängen von Stefan Raabs „Wadde hadde dudde da?“ (2000)? Unsere Senioren: Naschten sie von den roten Kirschen der Liebe zu „Merci, Cherie“ von Udo Jürgens (1966)? Oder Heike/Meike/Mike/Nike und ich – tanzten wir versonnen in den Morgen unserer Liebe zu uu-aa-uu-aa Dschinghis Khan (1979)?
Hahahaha.
Okay, es gab Nonkonformismus, Suff und so Zeug. Trotzdem: Undenkbar. Bitte: Was war diesen Mai? Zwar erinnere ich mich noch lebhaft an das Kleid dieser Frau (in Wahrheit natürlich an den Ausschnitt) , aber den Song habe ich längst vergessen.
Was heißt das? Es heißt doch ganz offenbar: Diese Eurovisionssongs sind vielleicht Teil des Lebens einiger weniger und – mit Verlaub und allem Respekt – doch sehr zweifelhafter Existenzen am Rand unserer Gesellschaft. Sie sind aber ganz sicher nicht Teil des kollektiven Gedächtnisses unserer Nat-i-on.
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Sehr geehrter Papst: Ich werde den Auftrag nicht ausführen. Weil ich ihn schlicht nicht ausführen kann.
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Ich dachte wochenlang nach. Ich konnte das nicht. Ich kannte doch gar keine Grand-Prix-Songs.
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Ich konnte das echt nicht. Ich erinnerte mich doch an gar keine Grand-Prix-Songs.
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Eines Tages kam ich in Berlin-Kreuzberg an zwei Mauern vorbei. Auf der ersten stand: Yuppies, raus aus Kreuzberg. Auf der zweiten stand: Wir müssen erst mal alle ehrlicher werden. Da ging ich weg und begann bitterlich zu weinen.
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Okay. Ich erinnere mich. Ich hatte da diese spezielle C-90-Kassette aufgenommen. Da war nur „What’s Another Year“ drauf. 24-mal nacheinander. Es passierte dann aber nur ein einziges Mal. Ihren Namen habe ich vergessen. (Martina.)
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Meine Alltime-Eurovision-Song-Contest-Top-Ten:
1. What’s another year
– Johnny Logan (1980)
2. Rock Bottom – Linsay de Paul & Mike Moran (77)
3. Telegram
– Silver Convention (77)
4. Making your mind up – Bucks Fizz (81)
5. Rücksicht – Hoffmann & Hoffmann (83)
6. Aufrecht gehn
– Mary Roos (84)
7. Hallelujah
– Gali Atari mit Milk & Honey (79)
8. Ein Lied kann eine Brücke sein – Joy Fleming (75)
9. Dschingis Khan – Dschinghis Khan (79)
10. Diggi-Lou Diggi Ley – Herreys (84).
Fragen zu den Charts? kolumne@taz.de
Vielleicht sind ja auch Platz 11 bis 20 noch interessant?
11. Kinder dieser Welt
– Gary Lux (85)
12. Für alle – Wind (85)
13. La det swinge
– Boobysocks (85)
14. Save your kisses for me – Brotherhood of Man (76)
15. My Little World
– Waterloo & Robinson (76)
16. Sag ihr, ich lass sie grüßen – Udo Jürgens (65)
17. 1, 2, 3 – Catherine Ferry (76)
18. Beg, steal or borrow – The New Seekers (72)
19. One step further – Bardo (82)
20. Swiss Lady – Pepe Lienhard Band (77)
Platz 21 bis 99: www.taz.de.
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IN So.Jetzt istaber wirklich alles raus. Fast alles.
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