: Atomausstieg ein Jahr vorgezogen
Eon beantragt offiziell die Stilllegung des AKW Stade für 2003. Angeblich aus wirtschaftlichen Gründen wird Deutschlands ältestes AKW damit ein Jahr eher als geplant abgeschaltet. Anlage soll zurückgebaut werden. Zwischenlager nötig
aus Hannover JÜRGEN VOGES
Das Atomkraftwerk Stade wird im Jahr 2003 endgültig stillgelegt – das ist seit gestern amtlich. Die Eon Kernkraft GmbH hat beim niedersächsischen Umweltministerium den Rückbau des Atommeilers beantragt und damit gegenüber der Genehmigungsbehörde rechtsverbindlich seinen Willen zur Aufgabe des AKW-Standorts bekundet.
Der Stader Reaktor, der im Januar 1972 ans Netz ging, ist das erste AKW, das auf Grundlage der Konsensvereinbarung zwischen Energieversorgern und Bundesregierung abgeschaltet wird. Nach dem Konsens hätte das alte Kraftwerk, das sich einst wegen der Versprödung seiner Druckbehälter den Ruf eines „Schrottreaktors“ erwarb, sogar noch bis 2004 laufen dürfen. Der niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) bezeichnete die nun ein Jahr früher vorgesehene Stilllegung gestern als Erfolg für die niedersächsische Landesregierung, die seit 1990 für den Ausstieg aus der Atomkraft streite. Schon die erste von Gerhard Schröder geführte rot-grüne Regierung in dem Bundesland hatte 1990 die Stilllegung des AKW Stade in ihrem Regierungsprogramm. Seinerzeit sollte sie allerdings bereits bis 1994 erfolgen.
Die Eon-Kernkraft hat das endgültige Aus eigenen Angaben zufolge aus rein wirtschaftlichen Gründen auf das Jahr 2003 gelegt. Der Transport von abgebrannten Brennelementen aus Deutschland in die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague ist nur bis Ende Juni 2005 erlaubt. Und die Eon will sich den Bau eines Brennelemente-Zwischenlagers sparen. Denn die abgebrannten Brennstäbe müssen vor einem Transport auch noch ein halbes Jahr im AKW-Becken abklingen. Daher ist der jetzt gewählte Zeitpunkt der spätmöglichste, um noch das gesamte hochradioaktive Inventar zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich zu schaffen.
Die Eon Energie AG selbst bestritt gestern – offenbar mit Blick auf Aktienrecht und Aktionäre – jeden Zusammenhang zwischen der Stilllegung und dem Atomkonsens. Das vorzeitige Abschalten erfolge „aus rein wirtschaftlichen Gründen“, ließ ausgerechnet Vorstandsmitglied Walter Hohlefelder verlauten, der in seiner früheren Funktion als Leiter der Atomabteilung im Bundesumweltministerium an diversen Konsensrunden teilgenommen hatte.
Vor dem Konsens galt das seit Jahrzehnten abgeschriebene AKW noch als Gelddruckmaschine von Eon und zuvor von PreussenElektra. Nunmehr meinte Hohlefelder, „der enorme Strompreisverfall seit der Liberalisierung“ und „die Belastungen durch den niedersächsischen Wasserpfennig mit fast 16 Millionen Mark jährlich“ hätten dem mit 630 Megawatt kleinsten Eon-AKW die Wirtschaftlichkeit entzogen.
Der Standort des AKW an der Unterelbe soll nach dem Abtransport der Brennelemente binnen zehn oder zwölf Jahren zur Wiese werden. Der Rückbau, für den vier atom- und eine baurechtliche Genehmigungen notwendig sind, kann das Umweltministerium in Hannover allerdings erst nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung und Beteiligung der Öffentlichkeit erlauben. Laut Angaben von Jüttner soll die erste Teilgenehmigung in zwei Jahren vorliegen. Im Zuge des Rückbaus müssen etwa 100.000 Tonnen Beton und Stahl beseitigt werden. 2.000 bis 3.000 Tonnen schwach radioaktives Material sollen in einem neuen Zwischenlager auf dem AKW-Gelände unterkommen. Die Hälfte der 450 Angestellten des AKW wird für die Zeit des Rückbaus ihren Arbeitsplatz behalten. Ein Viertel der Belegschaft soll laut Angaben des Betriebsrats in den Vorruhestand gehen, ein weiteres Viertel an andere Eon-Standorte wechseln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen