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Schlumbumbel im Internet

DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

„Satzverkürzung um 33 Prozent in zehn Tagen garantiert!“ – das wäre mal wirklich eine klasse Mail

„Penisvergrößerung um 33 Prozent in zehn Tagen garantiert!“ Überschrift einer E-Mail-Wurfsendung

Na, das ist doch mal was anderes, als die Ohren lang gezogen zu bekommen. Wer in der Verheißung lebt, nach seinem Ableben überraschend auch als wenig anspruchsvolles Quartalsferkel Anerkennung zu finden, sollte seine Pornohefte gut sichtbar deponieren. Oder sich eine Putzkraft leisten, dann wird’s gegebenenfalls schon vor dem Tode peinlich. Das Internet hingegen verbirgt den Nachlass hinter Benutzername und Passwort; und so bewahre ich die Hoffnung, dass die Schwemme von Immobiliendarlehens-Angeboten und „Komm in meinen Chat, Deine Uschi“-Mails meiner letzten Deutungshoheit vorbehalten bleibt.

Aus dem Urlaub zurückzukehren, ähnelt in dieser Hinsicht der Wiederauferstehung. Ein Klick auf das Briefkastenlogo lässt die Erkenntnis auf mich niederpurzeln, dass mich weniger Freunde oder Geschäftspartner vermisst haben. Die Freunde wissen, dass ich im Urlaub bin, oder sind keine; die Geschäftspartner schreiben nur, wenn’s Probleme gibt. Wirklich gefehlt habe ich den Trickbetrügern, Kreditkartenabzockern und Ein-Mann-Sekten dieser respektive jener Welt.

Souverän nirwanisiere ich mit einem Muskelzucken des Zeigefingers, was sich schon in der Dachzeile als unpersönlich enttarnt. Das Netz weiß das und behauptet kühn, es „Re“-he, also beantworte ein Mail von mir. Darauf reingefallen, bleibt mir tief empfundene Scham über meine Leichtgläubigkeit. Oder die Berechnung, wie viel Kilometer Bücherstapel, wahlweise Penisvergrößerung ich finanzieren könnte, nähme ich alle Hypothekenangebote an.

Man kann es dem Fernsehen also als Vorteil anrechnen, dass es bei Rückkunft aus Sonnenbrandland genauso schrillgrau in die Stube glotzt wie vorher. „Hey, ich hätte dich mit Kai Pflaume abgefoltert und mit der Verzweiflung konfrontiert, dass selbst die ‚Tagesthemen‘ ihre dreißig Minuten manchmal nicht voll bekommen, wenn es richtig sauer gurkt!“ Spräche der Apparat so zu mir, er wäre der Entsorgung preisgegeben. Andererseits scheint ihm wenig daran gelegen, mich meiner Existenz zu versichern.

Natürlich war es rechtschaffen eitel, den eigenen Namen in alle verfügbaren Suchmaschinen einzugeben, um weltweit Würdigungen meines Ichs zu recherchieren. Aber das ist vergessen und verziehen, wenn mir der wach geküsste PC nach dem Urlaub offenbart, amerikanische Namensforscher hätten inzwischen zweifelsfrei ermittelt, ich entstamme einem strotzreichen bayerischen, vielleicht aber auch tibetanischen, jedenfalls: Adelsgeschlecht, und der direkte Zugriff auf die damit einhergehenden Latifundien, Kronjuwelen, besonders aber das Familienwappen und bei Bedarf auch ein günstiges Immobiliendarlehen seien nur eine Kreditkartennummer weit weg. Auch könnte ich danach gebührenfrei mit Uschi chatten.

Vom Buchdruck zum Radio zum Fernsehen führt eine Entwicklung, die als Abschaffung der Fantasie zu geißeln und immerhin schwer zu bestreiten ist. Geht aber doch: Die Vorstellungskraft, die dem Gelesenen zu Geräusch verhalf und dem Gehörten zum Gesicht, mag vor dem Fernseher gänzlich arbeitslos geworden sein. Aber nur weil etwas arbeitslos wird, hört es nicht auf zu existieren. Eine Erkenntnis, der sich die amtierende Bundesregierung nach eigenem Bekunden vor der nächsten Wahl stellen möchte. Setzt man also die Erbfolge der Massenmedien hin zum Internet fort – und das ist die zurzeit gültige Auffassung –, tritt das Netz mit einem nachgerade blairschen „Jobs! Jobs! Jobs!“ vor die seit Gutenberg niedergehenden Hirnzellen. Sie haben ja ihren Widerstand nie ganz aufgegeben: Leserbriefe geschrieben, an Radioskalen rumgekurbelt, schließlich das Zapping als Volkskunst und naive Programmmalerei gegen das Fernsehangebot gesetzt.

Der zivilisatorische Beitrag des Internets wird sich also danach bemessen lassen, ob es gestaltende Fantasie zurück ins Leben holt – oder simuliert und ihr damit den endgültigen Todesstoß versetzt. Werde ich Teil des Mediums und damit Mitentscheider seiner Inhalte? Oder saugt es auch meine geheimsten Wünsche und Forderungen auf und kotzt sie mir als Sonderangebot in den Briefkasten zurück?

Lerne ich im Netz Menschen kennen oder lerne ich, statt echter Menschen, mit ihren digitalen Abdrücken zufrieden zu sein?

Und – liest das hier noch jemand oder alles schon weggeklickt? Könnte ich jetzt nicht auch mal 20 Zeilen Schlumbumbel schreiben, weil’s bei dem Überangebot ohnehin nicht mehr drauf ankommt?

Viele werden meine Thesen zum Internet nicht sofort verstehen. Damit muss ein Visionär wie ich leben

Das sind die entscheidenden Fragen zur Zukunft der Massenmedien, die im Moment niemand beantworten kann. Außer natürlich mir, der ich, wie bereits erwähnt, schon im Urlaub war und deshalb ausgeruht und entspannt und weise auf die Dinge zu blicken vermag.

So nehmet denn kostbares Manna des Wissens, das ich aus einem Himmel aus Sonnenmilch und lecker Fischmahlzeit zu euch herabwerfe:

1. Befindet man sich am südlichen Ende der irischen Westküste, klickt man seinen E-Mail-Briefkasten schon deshalb nicht an, weil man keinen PC, geschweige denn Internet-Zugang hat. 2. Erst nach drei Tagen beim Besuch der nächstübergeordneten Kleinstadt fällt einem eine Torf-Ruß-geschwärzte Wahrnehmung ein davon, dass man da eben irgendwo Internetcafé gelesen und aber auch gleich wieder vergessen hat. 3. Geschäftspost nach Wiederheimkehr ist 100 Prozent igittigitt. 4. Ob dies alles auch nach dem von unseren Kindern ertrotzten, einwöchigen Mallorca-Aufenthalt noch gilt, teile ich bei Bedarf gern mit, wenn ich selbigen hinter mir habe, respektive nicht nur den irischen, sondern auch mallorquinischen Verhältnissen sachkundig und aus eigener Anschauung nachzutrauern in der Lage bin. Vielleicht schreibe ich dann auch wieder kürzere Sätze. 5. „Satzverkürzung um 33 Prozent in zehn Tagen garantiert!“ wäre beispielsweise eine klasse Mail. 6. Nachdem in Irland großartiges Wetter war, müsste Mallorca jetzt mit 13 Grad und Regen aufwarten, damit die Kinder nie wieder Mallorca und 33 Grad fordern, weil in Irland immer 13 Grad und Regen sei. 7. Ich habe ja nicht gesagt, dass das hier spannender würde als 20 Zeilen Schlumbumbel. 8. Wird sicher gleich geil, der Moment, da ich den PC abschalten kann. 9. Viele werden diese Kernthesen zum Internet nicht unmittelbar nachvollziehen können, aber damit muss ich als Visionär leben können. 10. Hier ist es ja auch ganz schön warm. 11. Wenn nach Rückkehr aus diesem zweiten Urlaub meine Mailbox nicht vernünftig gefüllt ist oder wenigstens dann schon lieber leer, setzt es was. Die E-Mail-Adresse findet sich unter www.probono-gmbh.de. 12. Ich wollte nicht angeben mit den zwei Urlauben, aber es sind ja auch zwei kurze Urlaube, und letztes Jahr war ich gar nicht. (Ganzen Sommer vorm PC gehangen.) 13. Na, mal sehen, wie das alles so wird mit dem Internet, auch gesellschaftlich, meine ich.

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