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Subversion und Gitarren

Ein wenig No-Wave-Geist der Achtziger: Ayibobo jazzen und rocken die Heimatklänge

Was ist los mit den Heimatklängen? Fast scheint es, als ob die Festivalmacher im dreizehnten Jahr den Mut des Publikums auf die Probe stellen wollen. Zwar hört der Kunde auch weiterhin relativ traditionellen oder harmlosen Salsa wie in der letzten Woche. Aber da gibt es plötzlich diese Bandprojekte wie das Shrine Synchro System mit dem Superdrummer Tony Allen. Und alle sind verunsichert. Dabei waren gerade Shrine Synchro ein grandioses Experiment, und die sind bekanntlich spannend, wenn sie knapp vorm Scheitern doch wieder die Kurve kriegen. Shrine lagen haarscharf daneben, waren sehr open minded und nicht so ganz aus dieser Welt und Zeit. Klasse.

Da wird die Weltmusik plötzlich zum Jazz. Die Fortsetzung dieser Verjazzung und geistigen Verjüngung knallt diese Woche durchs Zelt. Jetzt muss die Schallverkleidung wirklich zeigen, was sie hergibt: Wenn die Körperweltenleichen bei der Love Parade nicht aufgewacht sind, dann werden sie zu Jean-Paul Bourellys Gitarrensounds auferstehen.

Bourelly hat ein Projekt an den Ostbahnhof gebracht, mit dem er schon länger im Backroom des Hauses der Kulturen rumwuselt. Ergänzt werden Ayibobo durch den Cellisten Muneer B. Fennell – ein Mann mit Oberarmen, so stark, dass er mit seinem Bogen wahrscheinlich Bäume umsägen könnte. Die doofeAir France hat den Mann drei Tage auf sein geliebtes Instrument warten lassen, und er musste jede Menge Geld für Übergepäck zahlen – Bassisten und Cellisten sind nicht nur beim Taxifahren die Idioten.

Ob von der Band nun ein Voodoo-Zauber ausgeht, sollen andere entschlüsseln, jedenfalls lodern hinter dem gut abgerockten Material diverse Feuerchen. Haiti ist dafür ein wichtiges Stichwort. Gitarrero Bourelly hat haitianische Roots, lebte in New York und stieg hier in die Band Ayibobo ein. Die Gruppe war quasi auf der Flucht. Im Haiti zur Herrschaft des Duvalier-Regimes war Roots Musik verboten. Diktaturen scheinen Angst vor Musik zu haben – auch im Iran sind bestimmte Instrumente auf dem Index. In Haiti jedenfalls bekam der Sound den Namen Foula und stand für Aufstand und Revolte gegen die Unterdrücker. Also Exil.

Bourelly lebt schon einige Jahre in Berlin und wenn unsre kleine Stadt eine etwas lebendigere Szene hätte, wäre er sicher längst einer der gefragtesten Gitarristen. Sein Spiel ist unwirsch, krachig und doch wieder liebevoll, eruptiv, sehr rhytmisch und ansteckend aufmunternd. Ein bisschen James Blood Ulmer schwingt mit. Wenn der Schlagzeuger Kenny Martin losprügelt, der im Rahmen einer Defunkt-Tour in unsren Graden hängen blieb, weht ein wenig vom No-Wave-Geist der Achtziger durchs Zelt. Voodoo? Voodooooo!

Wie es sich für das diesjährige Heimatklänge-Konzept gehört, runden Musiker aus Afrika, aus Benin in diesem Fall, die Brücke rund um den halben Globus. Diese Band improvisiert gern und wird sicher mit zunehmender Spielzeit in Berlin zu noch stärkerer Form auflaufen. Das Jazzfest ist mausetot – es leben die Heimatklänge! ANDREAS BECKER

Ayibobo feat. Foula bei den Heimatklängen, bis Sa. um 21.30 Uhr, So. um 16 Uhr im Tempodrom am Ostbahnhof

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