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Die Welt ist nicht genug (2): An der Filmindustrie zeigt sich, dass das Gerede von der kulturellen Globalisierung eine Propagandalüge ist. Real dagegen ist der globale Kampf um Aufmerksamkeit

■ Seattle, Tokio, Göteborg und Genua – die Welt-ordnung der „New Economy“ wird nicht länger als Chefsache akzeptiert. Mit der Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit wächst auch der Widerstand. Wie aber sehen die Kritiker der Globalisierung aus? Was treibt sie an? Und welche Kultur entsteht aus dem neuen Protest?

von TOM HOLERT

Wo wird heute am besten ein Film gemacht? Hollywood? Bollywood? Cinecittà? Babelsberg? Nicht gleich an das Naheliegende denken. Wie wäre es zur Abwechslung mit . . . Honolulu, Hawaii? „Square hat Honolulu ausgewählt, weil es an zentraler Stelle im Pazifik liegt. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, die kreativsten und erfahrensten Talente aus der ganzen Welt zu versammeln“, sagt Jun Aida, der Produzent des hyperrealistischen Animationsfilms „Final Fantasy – die Mächte in dir“, der ab dem 23. August in den deutschen Kinos läuft. Square ist ein großer japanischer Computerspielhersteller, bekannt vor allem für das interaktive Rollenspiel „Final Fantasy“. Es ist seit über zehn Jahren in verschiedenen Versionen erfolgreich auf dem Markt. Jetzt ließ die Logik der Medienverbünde es angeraten erscheinen, das Computerspielgeschäft durch einen Kinofilm synergetisch hochzudrehen – letztes Beispiel: „Tomb Raider“.

Konsolidierung: Vom alten Medium Film fällt etwas kultureller Glanz auf das Kids-Konsolen-Medium, zugleich wird das Kino schrittweise kolonisiert. Square hatte schon zuvor ein Computergrafikstudio in einem Hochhaus in Honolulu eingerichtet. Für das Filmprojekt verlagerte man dorthin einen 150-köpfigen Produktionsstab – rekrutiert in 22 Ländern, wie das Presseheft stolz berichtet. Aber warum spielt bei einem Film, der als ein weiterer Etappensieg auf dem Weg zur kompletten Digitalisierung und Virtualisierung der Filmproduktion beworben wird, die „zentrale“ Lage im Pazifik überhaupt noch eine Rolle? Sollte man nicht meinen, dass eine Technik, die imstande ist, menschliche Schauspieler und reale Landschaften restlos in Datensätze aufzulösen, auch über den geografischen Ort der Produktion solcher Cyber-Frankensteinismen erhaben sein müsste? Willkommen in der „Globalisierung“, Kennwort Kino.

Willkommen auch zu einem (wie man inzwischen weiß: mitunter blutigen) Fest der Widersprüche und Ungereimtheiten, die der Begriff der Globalisierung zugleich kaschiert und provoziert – besonders, wenn ihm das Attribut „kulturelle“ vorangestellt wird. Denn die „kulturelle Globalisierung“, als positiver Nebeneffekt ihres ökonomischen Pendants verstanden, ist eine exquisite Propagandalüge. Dass die Mitarbeiter eines Produktionsteams die Pässe von 22 unterschiedlichen Nationalstaaten bei sich tragen und überdies ihre technokulturproduktive Arbeitskraft in einem Hochhaus auf Hawaii verkaufen, mag als besonders globalisiert durchgehen. Andererseits spricht aus der vertraglichen Verpflichtung, sich über teilweise große Entfernungen an eben diesem Ort zu versammeln, um gemeinsam einen Film zu machen, auch nichts weiter als eine effizienzsteigernde Konzentration der Kräfte im Zeitalter der Netzwerke. Das Reden von der Dezentralisierung ist hier eben häufig auch nur . . . ein Reden.

Die viel umjubelte Aufhebung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie und die ebenso heftig begrüßte Befreiung von der Materialität der Kommunikation finden ihre Grenze immer wieder an diesem Ding, genannt: der Mensch (und den sozialen, physischen und psychischen Beziehungsgefügen, in denen dieser sich befindet). Die Ideologen der Deregulierung der Weltmärkte, der Digitalisierung oder einer entfesselten Biopolitik mögen andere Leitkategorien ins Rennen um die Definitionsmacht schicken („der Markt“, „das Virtuelle“, „das Leben“). Am Ende kommen konkrete Individuen an einem verkehrstechnisch günstig gelegenen physischen Ort zusammen, um ein High-Tech-Entertainment-Produkt unter Globalisierungsbedingungen zu fertigen. Vor Leuchtkristallbildschirmen im sonnigen Hawaii.

Der amerikanische Filmtheoretiker Jonathan L. Beller schrieb 1994, dass die Globalisierung des Kapitals wahrscheinlich weniger ein geografisches Projekt sei als vielmehr ein Unternehmen mit dem Ziel, die Aktivitäten und Zeiten „zwischen“ den bereits zur Ware gewordenen Tätigkeiten der Körper „einzufangen“: „Jede Bewegung und jede Geste ist potentiell wertschöpfend. Die Kapitalexpansion bestimmt den Körper als neue Frontlinie.“ Wie das gemeint sein könnte, wird anschaulich, wenn man sich noch einmal das Unternehmen „Final Fantasy“ betrachtet: Im Pazifik werden hoch qualifizierte Spezialisten aus dem globalen kulturindustriellen Einzugsgebiet der Programmierer, Game-Designer, Scriptwriter und Filmproduktionsmanager zu einem Pool der Kompetenzen zusammengezogen. Dieser Kreativ-Trust hat den Auftrag, das interaktive und (im Internet) gemeinschaftsstiftende Role-Playing-Game in einen Kinofilm zu übersetzen. Beim Computerspiel beruht die Wertschöpfung nicht zuletzt auf der intensiven kognitiven und körperlichen Einbeziehung der Spieler in die Welt des Spiels; hier greift das Kapital auf Stressresistenz und Reflexe zu, ebenso auf das Begehren, in neue Rollenidentitäten zu schlüpfen. Im Falle eines Filmprojekts wie „Final Fantasy“ werden traditionell filmische und interaktive Modelle der Inanspruchnahme möglichst wirkungsvoll aufeinander abgestimmt. Die Konzentration der Kräfte im globalen Maßstab dient dem Ziel, die individuellen Körper und Gehirne so umfassend, das heißt so „global“ wie möglich, anzugreifen und zu kolonisieren.

Der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling hat das Wort vom „military-entertainment complex“ geprägt. In der Tat lassen sich konkrete Verflechtungen von Unterhaltungsökonomie und Waffenindustrie nachweisen, etwa in der Softwareentwicklung oder bei Marketingstrategien. Aber der Zusammenhang zu den Eroberungsfeldzügen einer globalen Kulturindustrie, die sich den Körper und vor allem die Räume, Zeiten und Handlungen zwischen den Körpern als „new frontier“ auserkoren hat, ist nicht zwingend. Obwohl dies ein Theoriefeuilleton suggeriert, das sich an der Metaphorik von Krieg und Kultur mästet. Trotzdem ist der „Krieg“ um Aufmerksamkeits-Einheiten, um eyeballs natürlich sehr real. Und für diesen Angriff auf das Zwischen-den-Körpern (als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln) ist der pazifische Raum eine geostrategische Wahl geradezu allegorischen Zuschnitts.

Nordwestlich von Honolulu, diesem so praktisch gelegenen Produktionsort der Firma Square, liegt Pearl Harbor. Den Ort kennt inzwischen jedes Kind in den Teilen der Welt mit Globalanschluss. Der Film „Pearl Harbor“ wurde als klassischer Blockbuster konzipiert, ganz in der Tradition des Kulturimperialismus à la Hollywood. Seine ideologischen Funktionen sind bekannt: Unter anderem erhielt die Regierung Bush durch den Film massenkulturelle Rückendeckung für ihre militärischen Aufrüstungspläne. Zugleich kann man „Pearl Harbor“ als außenpolitische Maßnahme betrachten. In Zeiten, in denen die US-Falken das Feindbild China implementieren, wird das Verhältnis zum ehemaligen Kriegsgegner Japan, ebenfalls ein Pazifikanrainer, zur pathetischen Veteranenpartnerschaft umgemünzt.

In Japan stieß „Pearl Harbor“ auf grenzenlose Begeisterung, der Hauptdarsteller Ben Affleck konnte sich auf einer PR-Tour des Jubels kaum erwehren. Um die Stimmung beim japanischen Publikum nicht zu trüben, wurden für den dortigen Markt bloß ein paar chauvinistische Dialoge getilgt. Ansonsten gilt, dass sich gefälligst die ganze Welt, inklusive ehemaliger Erbfeinde, über eine „universale“ Liebesgeschichte und die Special-Effects-Orgie eines schönen Luftkampfs zu freuen hat. Einsam und allein regiert das Äquivalenzprinzip. Und wenn der Erfolg in diesem Fall hinter den Erwartungen der Geldgeber zurückblieb, ist das nur die Ex-negativo-Bestätigung des Kampfes um kulturell-ökonomische Hegemonie. Dass diese Hegemonie ausschließlich von den USA ausgeht, deren Hollywood-Studios einem imperialistischen Masterplan folgen und die Welt zu einer falschen machen, ist ein Evergreen, den auch die Globalisierungskritik in ihr Repertoire übernommen hat.

Nur wird aber der wiederkehrende Verweis auf Marshall McLuhans Satz, jeder Hollywood-Film sei Propaganda für die USA, dadurch nicht weniger Amerika-fixiert. Dieses Land mag die Heimat vieler Konzerne sein, die einem Kulturimperialismus im Zeichen der Pax americana mehr als nur freundlich gesinnt sind. Der Antiamerikanismus, der sich aus dieser Beobachtung umstandslos zu legitimieren scheint, ist jedoch bodenlos. Denn wenn Globalisierung eines ist, dann die Neuordnung des Verhältnisses von nationalstaatlichen und transnationalen ökonomischen Interessen unter dem Gesichtspunkt einer effizienteren Unterwerfung der Menschen unter das Doppelprinzip von Profitsteigerung und biopolitischer Regierbarkeit.

Das „postmoderne Imperium besitzt kein Rom“, schreiben Antonio Negri und Michael Hardt. In ihrem Buch „Empire“ analysieren die beiden Autoren die globale Netzwerk-Machtstruktur aus Kapital-, Technologie- und Migrationsströmen. Dieser Struktur fehle ein lokalisierbares Zentrum und doch operiere es zentralisierend. Übertragen auf das Koordinatensystem der Kulturindustrie heißt das: Auch wenn die Interessen von Filmproduzenten und Pentagon-Strategen immer wieder kurzgeschlossen werden, geschieht dies nicht in einem Jenseits des Weltmarkts. Hollywood, die symbolische Hauptstadt der Kulturindustrie, ist daher weniger das funktionierende Zentrum eines Imperiums als ein nostalgischer Themenpark, in dem sich die Medienindustrie zu Fototerminen versammelt.

Die Oscars, die „Tiger & Dragon“ in Hollywood erhielt, stehen für diesen Bedeutungswandel. Die Finanzierung dieses Werks des taiwanesischen Regisseurs Ang Lee sei ein Index dafür, „was globales Filmbusiness heute wirklich bedeutet“, erklärte Drehbuch-Koautor und Produzent James Schamus dem britischen Magazin Sight & Sound. „Wir hatten eine französische Bank und einen Investor aus Los Angeles. Wir hatten sieben verschiedene Vorkäufer und verschiedene Vertriebsfirmen in den wichtigen europäischen Territorien. Wir haben den Film zu zwei Teilen an Sony, Sony Pictures Classics und Sony Pictures Asia verkauft. Und unser Koproduzent kam natürlich aus China. Unsere Anwälte sitzen in New York, die Produzenten waren in Taiwan und Hongkong, die Pre-production in Peking. Das Unternehmen in Hongkong hatte ein Subunternehmen auf den Virgin Islands, aus verschiedenen steuerlichen Gründen.“ Und so weiter.

Der Mann ist nicht zu beneiden. Er ist einer der hart arbeitenden Manager jener Globalisierung, die kulturell zu nennen vor diesem Hintergrund schwer fällt. Nun mag von den Produktionsteams in Peking und Hongkong, den Sony-Angestellten in Japan, den Anwälten in New York und den Bankern in Paris jede Menge Input in Gestalt „kultureller Differenz“ eingehen, wenn ein Martial-Arts-Films für den Weltmarkt hergestellt wird. Womöglich schafft die Internationalisierung der Finanzierungswege kreative Spielräume – parallel zu vielerlei kinematografisch relevanten „Mischformen“ und „Hybridisierungen“. All das kann in einen interessanten Film münden. Und gerade „Tiger & Dragon“ wäre ein denkbar schlechtes Beispiel für Kritikerder Globalisierung, wie sie in europäischen Anstalten für Nationalkultur die Abwehr des amerikanischen Kulturimperialismus organisieren. Doch fügt sich die ästhetische Qualität von „Tiger & Dragon“ nahtlos in ein Bedingungsgeflecht, in dem das künstlerische Potenzial vor allem Märkte öffnet.

Ang Lees Film erweiterte nicht nur das Publikum von chinesischen Fantasy-Kampfkunst-Filmen über die (inneren und äußeren) Grenzen des asiatischen Marktes hinaus. Überdies durchbrach er die Grenzen zwischen der Kult-Internationale der Fans von „asiatischem Kino“ und einem globalen Arthouse-Publikum. Schließlich trägt „Tiger & Dragon‘ “ dazu bei, Vorstellungen von Körperlichkeit und Subjektivität zu vermitteln, die eng mit den Interessen der Playstation-Abteilungen bei Sony verknüpft sind. Die Choreografie der Kampfszenen oblag Yuen Woo-Ping, der auch für die „körperlichen“ Auseinandersetzungen in „The Matrix“‘ verantwortlich zeichnet. Die frei fliegenden, der Schwerkraft entbundenen Körper der KämpferInnen bewegen sich in einem techno-ästhetischen Kontinuum von Kino und Computerspiel. Verfügbar, belastbar, formbar. Man kann sie als avantgardistische Figuren der Globalisierung lesen: als Bilder der Körperzwischenzonen, deren Eroberung und Gestaltung die Investitionsnetzwerke zwischen Hongkong und Paris, den Jungferninseln und Honolulu vibrieren lässt. Jene anderen Figuren der Globalisierung, die durch die Netzwerke der weltweiten Migration und Ausbeutung treiben, finden zwar mitunter ein Kino der Gegenglobalisierung, das sie angemessen repräsentiert. In den Businessplänen für finale Fantasien kommen sie jedoch nicht vor. Das Imperium bevorzugt Grenzgänger aus eigener Fertigung.

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